Durst - Roman
fremdenfeindlichen Ressentiments als von wahlstrategischen Überlegungenen leiten liess. Wollte er seine politische Karriere entscheidend vorantreiben, so durfte er keinesfalls auf die Karte Ausländerfeindlichkeit verzichten. Der erwähnte Kosovo-Albaner war in diesem Spiel nichts weiteres als eines jener Bauernopfer, die den Weg aufstrebender Politiker von jeher säumten.
Ineichen erklärte sich bereit, am besagten Abend im Saal des «Emmenbaums» zur feierlichen Entgegennahme der Ehrenmitgliedschaft zu erscheinen.
Während ich ihm noch eine Weile nach dem Mund redete, versuchte ich verzweifelt, eine Brücke zum Fall Slavkovi ć zu schlagen. Beim zweiten Kafi Schnaps rückte ich damit heraus: «Ihr Kollege von der Mordkommission hat im Fall des enthaupteten Jugos ganze Arbeit geleistet … Es ist für den Emmener Bürger beruhigend zu wissen, dass solche Objekte nicht lange frei herumlaufen – auch wenn, unter uns gesagt, eigentlich niemand was dagegen hat, wenn sie sich gegenseitig zur Strecke bringen.»
War ich nun doch etwas zu weit gegangen?
«Mit solchen Aussagen müssen Sie vorsichtig sein … Immerhin leben wir in einem Rechtsstaat, und da hat jeder Mensch Anspruch auf Schutz seines Lebens – ob er nun Schweizer ist oder eben Ausländer.»
«Das wollte ich damit nicht in Abrede gestellt haben. Sie müssen wissen, so wie ich denken hier viele Leute … Menschen wie Sie und – wie hiess Ihr Kollege gleich wieder?»
«Welcher Kollege?»
«Der mit dem Fall betraut gewesen ist, Herr L., etwas mit L …»
«Sie meinen Ruedi Furrer?»
«Furrer, genau – Leute wie Sie und Furrer sind ein Beispiel für die Tatkraft unseres Volkes und verdienen die Unterstützung all jener, die unsere schöne Schweiz noch zu schätzen wissen.»
Die letzten Worte waren unter den Tisch gefallen. Ineichen wurde plötzlich ein wenig misstrauisch.
«Sagen Sie, warum wissen Sie, dass Herr Furrer die Ermittlungen geleitet hat?»
Ich lächelte und meinte: «Man hört so allerhand, wenn man die Ohren spitzt …»
Nun hatte ich den einfachen Beamten doch ein wenig aus dem Konzept gebracht. Ich beschloss, ihn nach dem Kafi Schnaps in Ruhe zu lassen. Mit etwas harmloseren Themen wie dem letzten Eidgenössischen oder dem bevorstehenden Turnfest versuchte ich ihn wieder in Stimmung zu bringen; aber es wollte mir nicht recht gelingen. Nicht dass es mir wirklich ein Anliegen gewesen wäre – ich hatte erfahren, was ich wissen wollte. Mehr würde ich aus ihm nicht herausbekommen.
Tatsache war, Ineichen liess mich vor dem leeren Glas sitzen und machte keine Anstalten, mir einen weiteren Kafi Schnaps aufzutischen. Vielleicht war ihm nicht entgangen, dass er gerade eine weitere Indiskretion begangen hatte.
Zum Abschied notierte er sich Datum und Zeit der Versammlung. Er fand sogar zum fotogenen Lächeln zurück, als ich noch einmal beteuerte, welch grosse Freude er uns mit seinem Kommen bereiten würde.
Während mein Velo von allein den Weg zurück nach Emmenbrücke fand, kam mir der Einfall, für jenen Abend ein Empfangskomitee aus Petars Firma zusammenzustellen; verwarf den Gedanken aber wieder. Bis dann würde Ineichen herausgefunden haben, dass es den Verein «Christen gegen den Asylmissbrauch» erst noch zu gründen galt.
Rosalia lag bäuchlings auf ihrem Bett und blätterte in einer Illustrierten. Obwohl es hell genug war, hatte sie die Nachttischlampe eingeschaltet. Draussen schien die Sonne durch einen dünnen Dunstfilter, dabei entstand ein weiches, gleichmässiges Licht, das den Gegenständen ihre Schatten nahm. Zudem musste die Glühbirne auf dem Hochglanzpapier Spiegelungen hervorrufen, was beim Betrachten der Bilder bestimmt lästig war. Ich sass am Esstisch und erwog, Rosalia darauf aufmerksam zu machen. Aber es hätte sie in Verlegenheit bringen können. Ich hatte ohnehin den Eindruck, das Blättern in diesen bunten, spärlich beschrifteten Zeitschriften diene ihr weniger zur Wissensbeschaffung denn als Entspannung.
Etwas, was ich von meiner Tätigkeit nicht behaupten konnte. Ich war dabei, meine Notizen zusammenzutragen. Auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer drängten sich Bücher, Auszüge aus Typoskripten, unzulänglich beschriftete Disketten, zerfledderte Notizblöcke und Schreibhefte, Bierdeckel, Zugbillette und Zigarettenschachteln, die mit irgendwelchen fragmentarischen, sprunghaften Gedankengängen vollgekritzelt waren. Hinter dieser Unordnung steckte durchaus ein System. Meistens wusste ich, wo was zu finden
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