Durst - Roman
nein – niemand war hier.»
Sie erwiderte meinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.
«Sie sagen, Ihr Mann habe mit Ihnen nicht über seine Geschäfte gesprochen?»
«Ehrlich gesagt, es hat mich nicht interessiert …»
«Hatte Ihr Mann in der Wohnung ein Zimmer, wo er arbeiten konnte?»
Sie nickte: «Sein Arbeitszimmer …»
«Darf ich es sehen?»
«Es liegt im Obergeschoss …»
Sie zögerte kurz, bevor sie aufstand. «Kommen Sie.»
Ich drückte die Zigarette aus und folgte ihr. Wir gingen auf den glatten Marmorplatten die gewundene Treppe hinauf. An der Flurwand hingen Fotografien, worauf immer derselbe Baum während verschiedener Jahreszeiten zu sehen war. Am Ende des Flurs, der mit denselben rutschigen Steinplatten ausgelegt war, öffnete sie eine Tür.
«Sie finden alles noch so vor, wie es Zoran zuletzt verlassen hat. Rufen Sie mich, wenn Sie mich brauchen. Ich bin in der Küche.»
Ich sah mich um. Am Fenster stand ein Schreibtisch. Er machte – ähnlich wie Slavkovi ć s Reisebüro – nicht den Eindruck, als wäre daran viel gearbeitet worden. Laptop, Telefonapparat, Notizblock und zwei UBS -Kugelschreiber waren alles, was auf dem massiven Möbel lag. An der rechten Wand ein Büchergestell, gegenüber ein Tierkalender. Ich liess mich in den Bürostuhl fallen, klappte den Laptop auf und startete ihn. Unterdessen warf ich einen Blick in die Schubladen. Schreibblöcke, Couverts, Lineale, Bleistifte, Kugelschreiber, Büroklammern, Papier für den Drucker, Klarsichtmäppchen. Nach einer Weile präsentierte mir der Desktop ein Kästchen, das mich zur Eingabe des Passwortes aufforderte. Ich stand auf und ging in der Hoffnung, Frau Slavkovi ć kenne vielleicht das Passwort ihres Mannes, in den unteren Stock.
Frau Slavkovi ć war nicht allein in der Küche. Eine zierliche blonde Frau ungefähr im selben Alter stellte gerade zwei Weingläser in den Küchenschrank, die sie offensichtlich mit dem Geschirrtuch, das ihr auf der Schulter lag, zuvor abgetrocknet hatte. Als sie mich bemerkte, huschte ein – wie mir schien – leicht verschämtes Lächeln über ihr Gesicht.
«Guten Tag», sagte sie in einem Hochdeutsch, dem man die Muttersprachlichkeit anhörte, wobei sie Tag wie Tach aussprach. Frau Slavkovi ć stellte uns einander vor.
«Vesna hat mir von Ihnen erzählt.»
Ich lächelte und drückte ihre schmale Hand, die sie mir entgegenstreckte.
«Hoffentlich nur Gutes …», tat ich der Konvention Genüge. Ich wartete ihre Zusicherung ab und wandte mich an Frau Slavkovi ć : «Sie kennen nicht zufällig das Passwort, womit Ihr Mann seinen PC gesichert hatte?»
Sie schüttelte bedauernd den Kopf. «Was genau suchen Sie denn? Vielleicht kann ich Ihnen helfen.»
«Geschäftsunterlagen. Ich möchte seine Buchhaltung durchsehen», sagte ich und setzte hinzu: «Aber wies aussieht, stehen meine Chancen schlecht.»
Sie fuhr sich mit der rechten Hand an den Nacken. «Buchhaltung … Wenn ich doch nur … Ich hatte halt wirklich keine Ahnung von seinen Geschäften …»
«Schon gut, machen Sie sich keine Umstände.»
Ich war schon wieder auf dem Weg zurück.
Ich versuchte es mit seinem Vornamen. Dann mit seinem Nachnamen. Anschliessend mit verschiedenen Kombinationen. Nach einer Weile gab ich es auf. Ich fuhr den Laptop herunter, stand auf und trat ans Bücherregal. Ein Wörterbuch Englisch-Serbokroatisch, das Telefonbuch, ein Autobusprospekt, ein Stoss Automagazine. Ich nahm das zuoberst Liegende in die Hand und blätterte darin.
Plötzlich fuhr ich zusammen – jemand hatte sich von hinten angeschlichen.
«Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie doch nicht erschrecken!»
Ich trat eine Schritt zurück. «Macht nichts.»
Frau Slavkovi ć lächelte triumphierend. «Ich glaube, ich habe da etwas, was Sie interessieren könnte …» Sie sah mich auffordernd an: «Folgen Sie mir.»
Ich legte die Zeitschrift zurück ins Gestell.
Frau Slavkovi ć führte mich in den Luftschutzkeller, der im Gebäude integriert war. Das kalte Licht der Neonröhren liess die Wände aus Sichtbeton noch kahler erscheinen, als sie ohnehin waren. In einem Abteil, worin mit Winkeleisen Schaltafeln an der Wand angebracht waren, blieb sie stehen. Auf den Tablaren und darunter befanden sich beschriftete Bananenschachteln. Eine solche zog sie nun unter dem Gestell hervor.
«Zoran brachte diese Kiste wenige Tage vor seinem Tod nach Hause. Das ist mir eben in den Sinn gekommen. Schauen Sie!»
Ich hob den Deckel ab. In der Kiste lagen
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