Durst - Roman
Schweigen trat ein. Ich drückte meine Zigarette aus und musterte den selbstgefälligen Juristen. Wenn ich doch nur gewusst hätte, worauf seine augenfällige Genugtuung beruhte.
«Tut mir wirklich leid, wenn ich Ihnen die Story verdorben hab. Aber es wird wohl kaum in Ihrem Interesse liegen, aufgrund falscher Informationen zu recherchieren.»
Er sah sich nach dem Kellner um.
«Das geht auf unsere Rechnung!», kam ihm Anita zuvor.
«Ist doch nicht nötig, war mir ein Vergnügen …»
Die beiden lächelten sich an, als wären sie alte Freunde.
«Also dann …», er griff nach seiner Mappe, «ich hab noch zu tun.»
Ich blieb sitzen, während Anita mit ihm zusammen aufstand und ihm die Hand reichte.
«Einen schönen Tag auch Ihnen, Herr …»
Ich nahm kommentarlos seinen schlaffen Händedruck entgegen und folgte ihm mit den Augen, während er über den Jesuitenplatz ging und sein Mobiltelefon ans Ohr führte.
Ich hatte mein Velo mit in den Bus genommen, damit Anita und ich gemeinsam nach Emmenbrücke zurückfahren konnten. Wir standen im hintersten Teil des korridorähnlichen Raumes und hielten uns an der Haltestange fest, die horizontal unterhalb des Fensters angebracht war. Anita nagte an ihrer Unterlippe und schaute auf die Strasse.
«Und?»
Der Blick, den sie mir zuwandte, war seltsam glasig, als müsste sie die Sehschärfe neu einstellen.
«Was denkst du?»
Sie zuckte mit den Achseln. «Du?»
Ich stützte mich mit beiden Händen aufs Velo.
«Ich glaube, er lügt.»
Anita sah wieder auf die Strasse.
Ich betrachtete ihre Schuhe – farblich zum Anzug passende, spitz zulaufende Stiefelchen.
«Aber was bedeutet das …»
Ich wusste nicht, ob das eine Frage war, sagte dennoch: «Dass es jetzt für uns womöglich sehr gefährlich werden könnte.»
Ich fühlte Anitas fragenden Blick und riss mich von ihren adretten Schuhen los. Sie machte einen gefassten Eindruck.
«Am besten, wir verschwinden für eine Weile von der Bildfläche.»
Wir hatten kaum das Nötigste gepackt, als unten auf der Strasse einmal kurz gehupt wurde. Ich sah aus dem Fenster und entdeckte das hellblaue Taxi, das am Strassenrand stand. Ibrahim war ausgestiegen und blickte zu mir herauf. Ich gab ihm zu verstehen, wir würden gleich hinunter kommen.
«Bist du so weit?»
Anita zwängte ihr Necessaire in eine ihrer Reisetaschen und zog den Reissverschluss zu. Sie sah auf und nickte. Ich warf ihr den Hausschlüssel zu, schulterte meinen voll bepackten Tramper und fasste ihre beiden Taschen.
Ich ging das Treppenhaus hinunter; Anita verschloss hinter mir die Wohnung und kam nach.
Ibrahim hielt mir die Tür auf, nahm mir eine Tasche ab und ging damit zum Kofferraum. Während er mir half, das Gepäck zu verstauen, sah ich mich auf der Strasse um.
Das Orange-Weiss des Streifenwagens liess mir das Blut in den Adern gefrieren. Er kam vom Centralplatz her und fuhr langsam die Gerliswilstrasse hinauf. Für einige Sekunden wusste ich nicht mehr weiter. Erst Anitas «Komm jetzt!» brachte mich wieder zur Besinnung. Sie hatte sich bereits auf den Rücksitz gesetzt; auch Ibrahim war um den Wagen herumgegangen und hatte sich hinters Steuer gesetzt. Während ich einstieg, beobachtete ich aus den Augenwinkeln, wie die beiden Polizisten in unsere Richtung blickten. Ich zog die Tür zu und gurtete mich an. Ibrahim startete den Motor.
«Wenn sie wenden, gibst du Gas!»
Er warf einen Blick in den Rückspiegel, nickte und fuhr los. Das Patrouillenfahrzeug entfernte sich weiter in Richtung Sonnenplatz. Als wir den Centralplatz passierten, verlor ich es aus den Augen.
«Solle bringen wieder wie letzte Mal?»
«Nein. Fahr uns zum Bahnhof – Hauptbahnhof!»
Ibrahim hatte bereits von der Hauptstrasse in die Bahnhofstrasse eingeschwenkt.
Ich blickte zurück und begriff – wir wurden verfolgt.
«Er warten auf Parkplatz bei Wohnung …»
Der rote Golf folgte uns im Abstand von ungefähr zehn Metern.
«Vielleicht auch Zufall, werden wir gleich sehen.»
Vor dem Postgebäude riss Ibrahim knapp vor einer Reihe entgegenkommender Wagen das Lenkrad herum und jagte am Golf vorbei die Strecke zurück. Ich versuchte, einen Blick auf den Fahrer zu werfen – aber es ging alles zu schnell.
Gerade als wir wieder in die Hauptstrasse einfädeln wollten, kreuzte uns das Patrouillenfahrzeug, das offensichtlich beim Sonnenplatz oben gewendet hatte. Wir waren gezwungen, auf Umwegen zum Seetalplatz vorzudringen.
Als uns Ibrahim am Hauptbahnhof aussteigen liess, war
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