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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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Fenster.
    Es ging mir zu schnell, und während sie oben kicherte, suchte ich im Schein meines Feuerzeug in der Rosenrabatte nach dem Gegenstand. Es war ein schwarzer Wollsocken, worin sich ein Schlüsselbund befand.
    «Der Rote ists!»
    Ich schloss die Tür auf und stieg das Treppenhaus hinauf, das durch das einfallende Licht der Strassenlaternen ausreichend beleuchtet war. Als ich mich dem dritten Stock näherte, ging das Licht an. Anita empfing mich in der Tür. Sie trug kurze Pyjamahosen und eine rote, plüschige Kapuzenjacke, auf der Nase eine schmale, schwarze Drahtbrille; die Haare hatte sie zum vertrauten Pferdeschwanz zusammengebunden.
    «Ich stör doch hoffentlich nicht …»
    Ich vermied es, ihr zu nahe zu kommen, damit sie nicht gleich meine Ausdünstung roch.
    «Aber nein. Komm herein!»
    Während sie die Tür schloss, ging ich in die Knie, um mir die Schuhe auszuziehen.
    «Du kannst sie ruhig anbehalten.»
    Ich richtete mich wieder auf und folgte ihr ins Wohnzimmer.
    «Nimm Platz. Willst du ein Bier? Ich gönn mir nämlich auch eins.»
    Ich setzte mich aufs Sofa und sah mich um. Genau so hätte ich mir, wenn ich darüber nachgedacht hätte, Anitas Wohnungseinrichtung vorgestellt: elegant und funktionalistisch. Alles war ordentlich, sauber und so, dass man sich sogleich wohl fühlte. Auf einem runden Esstisch lag ein Notebook in Betrieb, daneben einige mit Notizen bedeckte Blätter und das Wahrig-Wörterbuch.
    «Ich hab dich beim Arbeiten gestört …», sagte ich, als mir Anita ein Bier reichte.
    «Du glaubst nicht, wie froh ich darüber bin. Ich arbeite seit vier Stunden daran – eine Reportage über männerbündlerische Rituale an Sportveranstaltungen. Zum Wohl!»
    «Mmm …», ich löste die Flaschenöffnung von meinen Lippen, «’tschuldigung, zum Wohl!»
    «Nur einen Augenblick …» Sie trat an den Tisch, sicherte das Dokument und fuhr den Laptop herunter. Dann legte sie die Brille in ein Etui, klappte es zu und setzte sich im Schneidersitz neben mich aufs Sofa.
    «Aber erzähl, was machst du in Zürich?»
    Ich rapportierte ihr die vergangenen Stunden.
    «Warum hast du mir nichts gesagt, ich wär dich gern hören gekommen!»
    «Ach lass, es gibt nichts Öderes als Lesungen. Besonders meine. Ich bin eine Zumutung fürs Publikum.»
    Sie meinte, ich kokettierte.
    «Weisst du, wie viele Bücher ich verkauft hab – ganze zwei Exemplare. Fünf Minuten, nachdem ich geendet hatte, war ausser mir und der Veranstalterin niemand mehr im Raum. Genügt dir das?»
    «Und das blonde Mädchen? Hast du ihre Telefonnummer?», fragte Anita nach einer Weile.
    «Welches Mädchen? Ah, die aus der Bar.»
    «Sie hat dir doch gefallen …»
    Ich erwiderte Anitas Blick.
    «Weisst du, seit ich dich kennengelernt hab, stell ich ziemlich hohe Ansprüche …»
    Ich beobachtete, wie sich ihre Oberlippe beim Lächeln ein wenig nach aussen wölbte.
    «Das sagst du doch nur, weil du schon ziemlich viel getrunken hast!»
    «Ich würde es sonst nur denken … Vielleicht, da hast du recht.»
    Sie wandte sich schmollend ab. Ich war mir nicht wirklich sicher, ob sie nur spielte.
    «Hör mal, warum sollte ich dir etwas versichern, was du nur allzu gut weisst. Du wirst das jeden Tag zu hören bekommen.»
    Anita lächelte und trank.
    «Trotzdem hör ich es gern aus deinem Mund.»
    Ihr Blick marinierte mich.
    «Ich könnte dir andere Komplimente machen als für dein Aussehen, für das du ja nicht wirklich viel kannst.»
    «Ja?»
    «Ja also, du bist überdurchschnittlich intelligent, du machst was draus; du bist gebildet, unabhängig und selbstbestimmt, du bist mutig, du kannst gut mit Menschen umgehen, du verstehst dich zu kleiden, deine Wohnung ist ordentlich und sauber und gediegen eingerichtet, ich könnte noch viel … Okay, du bist auch eitel und ein wenig zickig, aber das kann ich dir ja nicht verübeln.»
    Anita lachte und neigte sich ein wenig zu mir vor. Eine schon fast physische Ahnung überkam mich, wie es sich anfühlen musste, sie im Arm zu halten.
    Wir kamen auf unser Abenteuer zu sprechen. Wir liessen die verschiedenen Stationen vorbeiziehen: den Abend im «Paradise», unseren Spaziergang, Anitas Einzug bei mir, das Gespräch mit dem Staatsanwalt, die Flucht, die Entdeckung der Zusammenhänge. Ich verschwieg ihr den Brief von heute Morgen.
    «Weisst du, manchmal hab ich richtig Sehnsucht nach Emmenbrücke. Es ist wirklich ein ganz besonderer Ort – die Emme, die alten Industriebauten, dass dort nach wie vor produziert

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