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Durst: Thriller (German Edition)

Durst: Thriller (German Edition)

Titel: Durst: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alberto Riva
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Hongkong, wo Agata ein englisches Internat besuchte. 1986 war das Jahr, in dem sich der Reichtum des Drachen konsolidierte. Als Agata zwanzig wurde und die Schule abschloss, fragte Sebastian, was sie nun vorhabe, und sie antwortete, dass sie gern für einige Zeit in einen indischen Aschram eintreten würde, falls er nichts dagegen habe. Und so geschah es.
    Der Drache verlegte die Geschäfte nach Neu-Delhi, und Agata ging in einen kleinen Aschram in Haridwar in Uttar Pradesh, einer der sieben heiligen Städte des Hinduismus, fast an der Grenze zu Nepal gelegen. Eine Zeitlang hörte Sebastian nichts mehr von dem Mädchen. Er wusste, dass sie im Aschram war, aber auch ein paar Monate in Haridwar verbrachte, von wo aus sie regelmäßig an ihren Zufluchtsort zurückkehrte.
    Im Juni 1976 erhielt der Drache dann schließlich einen Brief, in dem Agata den Wunsch äußerte, nach Hause zurückzukehren. Er antwortete, dass er sie abhole, und zwar am Tag seines fünfzigsten Geburtstags.
    Obwohl Neu-Delhi nicht weit von Nepal entfernt war, hatte es den Drachen noch nie in den Himalaya verschlagen, wo der Ganges entsprang. Wenn China sich immer schon auf Tibet gestürzt hat, dann nicht aus politischen oder religiösen Gründen, sondern weil das Land über gigantische Wasservorkommen verfügt und Chinas schrecklicher Schlund seinen Durst nie zu stillen vermag.
    Der Drache machte sich auf den Weg nach Pauri, einer kleinen Bergstadt in der Nähe des Gangotri-Gletschers, der Wiege des Ganges. Ein paar Tage stieg er in einer Hütte ab und erkundete mit einem lokalen Führer die umliegenden Täler, eine zauberhafte Szenerie aus leuchtenden Felsen, giftgrünen Wäldern und dem blauesten Himmel, den er je gesehen hatte.
    Als er aus dem Gebirge wieder abstieg, folgte der Drache dem Lauf des Baghirati, der das Wasser des Ganges aus dem Paradies auf die Erde brachte. Ein paar Tage später traf er in Haridwar ein, gerade rechtzeitig für das Dashahara-Fest. Hindus, die dem Tod nahe waren, badeten im Fluss, und am Ufer wurden Leichen verbrannt. Nachts setzten hunderte von Händen winzige Papierlaternen aufs Wasser, wo sie wie ein letzter Gruß davontrieben.
    Die Fünfundzwanzigjährige, die schließlich vor ihm saß, hatte nur noch entfernt Ähnlichkeit mit dem Mädchen aus dem Waisenhaus in Saigon. Agatas Gesicht leuchtete, ihre Haut wirkte robuster, und in ihrem Blick lag etwas Ironisches, Wissendes, das er zuvor nicht wahrgenommen hatte. Sie hatten sich nach Sonnenuntergang mitten in der schweigsamen, demütigen Menge getroffen.
    Das Fest begann stets bei Neumond und dauerte einige Tage. Wenn man in den Fluss schaute, schien sich der Sternenhimmel umgestülpt zu haben. In der Luft lag der Duft der Blumen, der sich mit dem Gestank der verbrannten Leichen vermischte. Der Drache hatte zwei Zimmer in einer Familienpension am Fluss gebucht. Obwohl Agata eigentlich bei einer buddhistischen Gemeinschaft zu Gast war, brachte sie ihre Sachen in die Pension und schlief dort. Bei Sonnenaufgang trafen sie sich auf der Veranda wieder. Sie hatten Hunger, tranken Tee und aßen Mangos.
    » Bist du schon länger hier? «
    » Nein. «
    » Wo warst du? «
    » In Pauri, im Himalaya. Dort entspringt angeblich der Ganges, an einem Gletscher. «
    » Das muss schön sein. « Sie trank einen Schluck Tee. » Hast du ihn gesehen? «
    » Von weitem. «
    » Wie ist er? «
    Sebastian schnitt ein Stück Mango ab. » Unbeschreiblich. «
    In diesem Moment beschien die aufgehende Sonne die Ränder der ärmlichen Bauten am anderen Gangesufer. Auf dem Fluss trieben violette und indigoblaue Schatten.
    Der Drache betrachtete die Frau. Irgendwann fragte er: » Möchtest du mir etwas über die letzten fünf Jahre erzählen? «
    Agata goss sich aus einem Keramikkrug noch eine Tasse Tee ein.
    » Ich weiß nicht. Ich wüsste nicht, wo ich anfangen soll. «
    » Du wirst Zeit zum Nachdenken gehabt haben. «
    » Ja. « Sie lächelte. » Oder nein. Eigentlich bedeutet meditieren nicht, einen leeren Kopf zu haben. «
    Sie schwiegen.
    » Und der Yogi, was ist das für ein Typ? «
    » Schweigsam. Es handelt sich um einen Aschram, in dem man ein Schweigegelübde ablegt. Wenn dort überhaupt geredet wird, dann nur, wenn er dich persönlich zu sich ruft, um sich mit dir zu unterhalten. «
    Er beobachtete sie, während er seinen Tee trank.
    » Und hat er dich zu sich gerufen? «
    » Ja. « Agata wandte sich ab und beobachtete einen Schwarm Geier, der auf der Suche nach Fleisch über den Fluss

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