Durst: Thriller (German Edition)
hinwegsegelte.
» Er hat mich gefragt, warum ich dort sei. Was ich suche. «
» Und was hast du geantwortet? «
» Dass ich nichts suche. «
» Und er? «
» Hat gelacht. «
» Stimmt es denn, dass du nichts suchst? «
Sie schaute ihn irritiert an. » Natürlich stimmt das. «
Sebastian schwieg. Irgendwann erkundigte er sich: » Hat es dir dort gefallen? «
» Sehr. Aber ich würde nicht zurückwollen. «
» Warum? «
» Weil ich begriffen habe, dass mir die Welt draußen fehlt. Im Waisenhaus von Saigon war ich glücklich, wenn ich es recht bedenke. «
» Möchtest du nach Saigon zurück? «
» Nein. « Agata verzog die schmalen Lippen. » Nein, ganz bestimmt nicht. «
» Möchtest du mit mir nach London kommen? «
» Ja. « Dann schaute sie Sebastian mit einer Eindringlichkeit an, die ihn in Alarmbereitschaft versetzte. » Erzähl mir von meinem Vater, Sebastian. «
» Was möchtest du denn wissen? «
» Was war er für ein Mensch? «
Er verschränkte die Arme vor dem weißen Hemd. Weiß war die Farbe, die ihm am besten stand.
» Es fällt mir schwer zu entscheiden, wo ich überhaupt anfangen soll. Ein gewöhnlicher Mensch war er jedenfalls nicht, dein Vater, eher eine gequälte Seele. Er trank viel, las stundenlang und ging dann barfuß auf die Felder, um den Bauern zu helfen, ihre Bewässerungskanäle instand zu setzen. Innerhalb einer Woche hatte er gelernt, wie ein Filterwerk funktioniert. Die Hälfte meines Wissens über Berge, Steine, Wasser und Regen habe ich von ihm. «
» Gequälte Seele? «
» Ja, gequälte Seele. Seinen Glauben habe ich nie verstanden. Vermutlich war er kein glücklicher Mensch. Allerdings könnte ich genauso gut auch das Gegenteil behaupten, keine Ahnung. Manches an ihm war mir einfach rätselhaft. So hat er mir zum Beispiel nie erzählt, dass er aus dem Jesuitenorden ausgetreten ist. «
» Jesuiten haben für gewöhnlich keine Kinder. «
» Für gewöhnlich nicht. « Der Drache ließ seine blauen Augen auf dem Fluss ruhen. Sie beobachtete ihn, und er ahnte, welche Frage jetzt kommen würde.
» Hat er dir erzählt, wer meine Mutter war? «
» Ja. Er hat allerdings keinen Namen genannt. «
» Der Name interessiert mich auch nicht. «
» Deine Mutter war eine französische Schriftstellerin, eine Journalistin. Sie wollte dich aber nicht anerkennen. «
Agata wandte sich wieder dem Fluss zu, der sich allmählich mit Pilgern bevölkerte. Sebastian versuchte, das Lächeln auf dem Gesicht der Frau zu ergründen, und fügte hinzu: » Das hat er zumindest behauptet. «
» Könnte er gelogen haben? «
» Nein. « Sebastian schüttelte den Kopf. » Nein. «
Agata kaute an einem Fingernagel herum. » Warum nennt man dich Drache? «
Sebastian schaute sie verblüfft an. » Mir gefallen Drachen. «
» Was für Drachen? «
» Chinesische Drachen. «
Agata deutete ein Lächeln an. » Warum? Ich meine… «
Er schnitt sich eine Scheibe von seiner Mango ab. » Mir gefällt die chinesische Kunst. Drachen spielen dort eine wichtige Rolle. «
» Sie bedeuten Macht. «
» Nicht nur. Sie bringen auch Glück. «
» Glaubst du an Glück? «
» Blind. Etwas anderes als Glück gibt es nicht. «
» Was soll das heißen? Wann hattest du zum Beispiel Glück? «
» Als ich deinem Vater begegnet bin. «
» Noch ein Beispiel. «
» Nein, Agata. Ein besseres Beispiel könnte ich nicht finden, glaub mir. «
Sie schwieg und schien über etwas ganz anderes nachzudenken.
» Warum hast du dich für diese Arbeit entschieden? «
» Was für eine Arbeit? «
» Das Wasser. Die Arbeit mit Wasser. «
» Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Es ist einfach so passiert. «
» Kann das sein? Dass etwas einfach so passiert? Wasser ist schließlich nicht irgendetwas. «
» Was willst du damit sagen? Der eine arbeitet mit Erdöl, ich arbeite mit Wasser. «
» Und das ziemlich erfolgreich. «
» Das ist alles nur Glück, Agata, das habe ich doch gesagt. Etwas anderes zählt nicht. « Er machte eine Pause. » Möchtest du mit mir zusammenarbeiten? «
Wieder schaute Agata aufs Wasser, verharrte ein paar Sekunden reglos und richtete ihre grauen Augen dann wieder auf den Mann vor ihr. » Was hast du in Pauri gemacht, auf diesem Gletscher? «
» Ich habe Land gekauft, ein Gebiet mit fünf Wasserquellen. Jedes Jahr schenke ich mir zum Geburtstag eine Quelle. Dieses Mal habe ich sie allerdings nicht für mich gekauft, sondern für dich. Ich möchte, dass du dieses Wasser als Geschenk
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