Durst: Thriller (German Edition)
nicht hier warten können? «
» Wer weiß, wann der Gottesdienst begonnen hat. Vielleicht kommt er erst in einer Stunde, und so können wir noch eine Runde drehen. «
Das Viertel war ruhig, auf der Straße war fast niemand.
» Was will der denn am Donnerstagnachmittag in der Kirche? « , fragte Matheus. Sarah Clarice verzog nur den Mund.
Die Kirche war ein moderner grauer Betonbau. Vor dem Tor stand ein uniformierter Pförtner und lächelte, als sie eintraten. In wenigen Schritten erreichten sie einen Seiteneingang, von wo aus man einen Gottesdienst in deutscher Sprache hörte. Das Innere der Kirche war ebenfalls aufs Wesentliche beschränkt: Holzbänke, ein schwarzes Kreuz hinter dem hölzernen Altar, wenige Leute. Der Pastor war jung und wirkte wie ein Philosophiestudent. Sarah Clarice ließ den Blick über die Anwesenden schweifen und wusste auf Anhieb, wer Augusto Miller war.
» Da ist er « , sagte sie leise.
» Woher willst du das wissen? «
» Er ist es. « Sarah Clarice zeigte auf einen rüstig wirkenden, glatzköpfigen Mann, der die achtzig bereits überschritten hatte. Ausgeprägte Tränensäcke unter den großen, dunklen Augen dominierten sein Gesicht. Er trug einen eleganten blauen Mantel. Auf der Bank neben ihm lag ein brauner Hut mit breiter Krempe.
Sie warteten im Hof das Ende des Gottesdienstes ab. Als der Mann aus der Kirche kam, gingen sie ihm entgegen. Er bemerkte sie sofort.
» Guten Tag, sind Sie Augusto Miller? «
Er richtete den Blick zuerst auf Sarah Clarice, dann auf Matheus. » Der bin ich, wieso? «
Immer dieselbe Szene. Sie stellten sich vor.
» Ich kenne Sie nicht. Worüber wollen Sie mit mir reden? «
» Haben Sie eine Minute Zeit? Es geht um etwas ungemein Wichtiges. «
» Ich bin zwar Pensionär, aber ich habe keine Zeit zu vergeuden. Außerdem verspüre ich nach dem Gottesdienst keine Lust, mich zu unterhalten, nichts für ungut. « Er lüftete seinen Hut und machte sich auf den Weg zum Tor.
» Verstehe « , sagte Sarah Clarice schnell. » Ihr Name wurde uns aber von Ernesto Baduel genannt. «
Miller blieb stehen. » Haben Sie gerade Ernesto Baduel gesagt? «
» Ja. «
» Wann soll er das gesagt haben? Ernesto Baduel ist tot. «
» Das wissen wir, Senhor Miller. Wir waren dabei, als es geschah. Bevor er gestorben ist, hat er Ihren Namen genannt. Er hat gesagt, dass wir Sie aufsuchen und mit Ihnen reden sollen. «
Der Mund in Augusto Millers fülligem, rundem Gesicht hatte sich zu einer schmalen roten Linie zusammengezogen.
» Vielleicht sollten wir dieses Gespräch besser bei einer Tasse Tee fortsetzen. «
Augusto Miller lebte allein mit seiner Haushälterin, der Frau, die ihnen zuvor die Tür geöffnet hatte. » Ah, Sie haben ihn also gefunden. « Sie lächelte und nahm dem Alten den Mantel ab.
» Koch uns doch bitte einen schwarzen Tee, Severina. Und serviere ein bisschen Gebäck dazu. «
Die Frau lächelte und ging in die Küche.
Augusto Miller bat die jungen Leute, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen. Matheus schaute neugierig aus der Fenstertür. Der Garten war ziemlich verwildert.
» Darum hat sich meine Frau gekümmert. Seit ihrem Tod ist der Garten sich selbst überlassen, und jetzt wäre es sowieso zu spät, noch etwas ändern zu wollen. Außerdem ist er das Quartier sämtlicher streunender Katzen der Umgebung. Hier paaren sie sich fern von indiskreten Augen. Sie lassen mich in Ruhe, deshalb stören sie mich auch nicht. Aber setzt euch doch bitte. «
Augusto Miller musste Bücher regelrecht verschlingen, dachte Sarah Clarice. In den Regalen war praktisch alles vertreten: Romane, Gedichte, Biographien, wissenschaftliche Werke, Bücher über Kino und Theater, Kunstbände…
» Dann erklärt mir mal, was ihr wollt. «
Matheus setzte sich und überließ Sarah Clarice das Wort, woran er sich mittlerweile gewöhnt hatte. Zum zigsten Mal fasste sie die wichtigsten Punkte der Geschichte zusammen und schloss mit ihrer Begegnung mit Ernesto Baduel. Miller schaute sie an und zwinkerte mit seinen großen Froschaugen. Irgendwann kam Severina und bediente die jungen Leute. Miller nahm sich selbst. Je länger Sarah Clarice erzählte, desto steifer saß der Alte auf seinem geblümten Sofa. Am Ende wirkte er wie ein versteinerter Baum.
» Erzähl bitte noch einmal, was unmittelbar vor dem Schuss passiert ist. Worüber habt ihr genau gesprochen? «
Sarah Clarice strengte ihr Gedächtnis an. » Wir hatten herausgefunden, dass die brasilianische Gesellschaft, die
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