Durst: Thriller (German Edition)
Clarice mit, dass sie sich nicht wohlfühle, dann schaltete sie sämtliche Geräte ab, schnappte sich Regenschirm und Tasche und ging.
Kurz darauf war sie zu Hause, beugte sich über ihren Laptop und las.
… Ich kann mir vorstellen, wie überrascht du sein musst, diese Mail zu bekommen. Glaub mir, ich bin selbst überrascht, dass ich dir schreiben muss. Du wirst inzwischen wissen, dass ich nicht nach Salvador zurückkehre. Vielleicht hast du ja auch schon meinen Nachfolger kennengelernt. Mir ist bewusst, dass wir, du und ich, uns nie glänzend verstanden haben, und vermutlich werden dir meine Worte ziemlich abstrus vorkommen. Versuch bitte trotzdem, mir zu glauben. Ich weiß, dass du die Sache am São Francisco während meiner Abwesenheit weiterverfolgt hast, deshalb wurde ich ja auch nach Genf zitiert. Aber keine Sorge, das ist kein versteckter Vorwurf! Als ich hier ankam, wurde mir klar, dass wir einer sehr wichtigen Person auf die Füße getreten sind. Wie sie es angestellt haben, alles in Erfahrung zu bringen, was du und der Biochemiker gemacht habt, weiß ich nicht, aber sie hatten einen detaillierten Bericht darüber. Kannst du dir meine Überraschung vorstellen, als ich bei meiner Ankunft hier einen alten Bekannten wiedersah: Ricardo Barcellos, den Leiter der chemischen Fakultät der Uni Salvador? Man hat mir ohne Vorwarnung mein Amt entzogen und Slopoj geschickt.
Er kommt aus dem Büro in Moskau. Ich bin erst einmal krankgeschrieben, aber ich denke, dass ich den Laden ganz verlasse. Ich schreibe dir, SC , um dich zu warnen. Sei vorsichtig. Health Scanner arbeitet für ein paar Konzernriesen im Bereich Energie und Bodenressourcen. Viele Projekte sind nichts als ein Deckmäntelchen für ganz andere Dinge.
Ich rede hier von Biopiraterie und Landraub und so, und alles im Namen von Scheinstiftungen. Ich weiß selbst nicht, warum ich dir das alles erzähle, denn dieses Wissen wird dich im Büro in eine unmögliche Lage bringen. Vielleicht tu ich es, weil ich Angst habe und mich jemandem anvertrauen möchte, der die Sache versteht. Und vor allem, ich sag’s noch einmal, weil ich dich bitten möchte, auf der Hut zu sein. Ich für meinen Teil habe beschlossen, nicht den Mund zu halten. Barcellos wird von Geldern bezahlt, die neben den offiziellen Institutsmitteln fließen. Flavio, unser Verwaltungssekretär, ist in die Machenschaften eingeweiht, und ich wette, es gibt auch Beweise dafür. Ich könnte dir die Passwörter nennen, damit du an die geschützten Dateien rankommst, aber ich möchte dich zu nichts zwingen, SC . Sag mir, was du zu tun gedenkst. Ich bin bereit.
Das war’s fürs Erste. Ich wünsche dir viel Glück.
Marianne
Sarah Clarice las die Mail mehrfach. Ihre Stirn war eiskalt. Irgendetwas an der Sache kam ihr verdächtig vor. Marianne war eine dämliche Schnepfe, wieso sollte sie sich plötzlich in einen Schutzengel verwandelt haben? Oder hatte ihr eigenwilliges Verhalten früher damit zu tun gehabt, dass man Druck auf sie ausgeübt hatte?
Sarah Clarice runzelte die Stirn und erhob sich vom Schreibtisch. Ihre Anspannung war auf ein unerträgliches Maß gestiegen. Dabei sollte sie sich sofort wieder hinsetzen, um die E-Mail zu lesen, die ihr Carlo Apostolo vor einer halben Stunde geschickt hatte. Der Betreff verhieß nichts Gutes: Zeugenbericht.
Im selben Moment überschritt Matheus die Schwelle zu einem anonymen weißen Gebäude in Perdizes. Es befand sich am oberen Ende einer ziemlich steilen Straße, und er war ziemlich außer Atem. INTERNATIONALES WASSERINSTITUT . NON - PROFIT - ORGANISATION , stand draußen auf einer kleinen Tafel.
Es handelte sich um eine brasilianische Nichtregierungsorganisation, die trotz des nüchternen Namens und obwohl ihr Sitz eher an eine Baufirma denken ließ, einen ausgezeichneten Ruf genoss. Hier arbeiteten Biologen, Chemiker, Geologen und Soziologen, und ihre Dienste wurden von Privatinstituten, Unternehmen, Wissenschaftlern und universitären Einrichtungen in Anspruch genommen. In einem Land, das über dreizehn Prozent des weltweiten Trinkwasservorkommens verfügte, kam ihnen damit schon eine gewisse Bedeutung zu. Trotzdem litt die Organisation notorisch unter Finanzierungsschwierigkeiten, und die Mitarbeiter sahen allesamt wie Ärzte in einem Feldlazarett aus. Unter ihnen befand sich auch ein alter Studienkollege von Matheus, ein gewisser Leopoldo Four.
Bei der Sekretärin, die ihn in Empfang nahm, erkundigte sich Matheus, ob Doktor Four anwesend sei. Die
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