Durst: Thriller (German Edition)
Frau nickte. Ja, er habe Glück, der sei soeben eingetroffen.
Als Leopoldo Four seinen alten Studienfreund erblickte, riss er die Augen auf und lächelte. » Nein! Matty Braga! « Mittlerweile wog er gut und gern hundert Kilo, trug die Haare in einem Pferdeschwanz und hatte die Augen eines gutmütigen Ochsen.
Große Umarmungen und allgemeines Palaver. Nach einer vagen Andeutung erklärte Matheus schließlich, warum er gekommen war. Der Ochse schaute ihn an und schnaufte laut. Das Zimmer war mit geographischen Karten und Fotos von Wasserfällen, Flussbecken und Staudämmen tapeziert. Auf den drei weißen Schreibtischen stapelten sich Akten und Bücher.
» Nur dass ich dich recht verstehe, Matty. Du möchtest von mir also wissen, ob es möglich ist, dass 1.) die Sache mit dem Polywasser nicht einfach nur ein Scherz ist, 2.) die Sache grundsätzlich in der Natur erprobt werden könnte und 3.) ein unterirdisches Grundwasserreservoir dafür infrage käme? « Das war typisch für Leopoldo Four: Jedes Thema brach er auf eine technische Darstellung herab.
Matheus nickte. » Mehr oder weniger, ja. «
» Nun, zum Polywasser ist ja schon alles gesagt worden, und du kennst die Ergebnisse. Was offenbleibt, sind ein paar Fragen zum Verhältnis zwischen Wasser und festen Oberflächen, aber das ist ein anderes Thema. Ich persönlich würde bei einer so eigenwilligen Substanz wie dem Wasser nichts ausschließen. Okay? «
» Okay. «
» Nehmen wir also einmal an, die Hypothese vom Polywasser wäre sinnvoll. Dann hätten wir es mit einer Flüssigkeit zu tun, bei der sich die internen Kräfte, die auf die Moleküle und zwischen den Molekülen wirken, geändert haben, und zwar durch den intensiven Kontakt mit einer bestimmten Oberfläche. «
Matheus nickte.
» Dazu bräuchte es eine Schicht mit bestimmten mikroporösen Eigenschaften. Dieser Russe hatte ja sein Nebenprodukt, das anomale Wasser, auch in einem System von winzigen Kapillaren entdeckt. «
» Augusto Miller hat den Aquifer Alter do Chão ins Spiel gebracht. «
Leopoldo Four schüttelte den Kopf. » Das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich. Der ist zwar groß, aber schmutzig. Du weißt ja, dass Bahia ein großes Problem mit Uran hat, weil das Wasser in der Nähe der Bergwerke kontaminiert ist. Das brasilianische Nuklearprogramm tötet viele Menschen dort oben im Nordosten. Mit Wasser muss man vorsichtig sein, Matheus. Es ist anorganisch wie Aluminium, verschmutzt aber leicht. Wenn man deiner Hypothese folgen will, braucht man ein sauberes Grundwasserreservoir, und was wäre da geeigneter als der Guaraní-Aquifer, unser Juwel. «
Matheus trat an den Schreibtisch heran. » Guaraní, daran hatte ich gar nicht gedacht. «
» Das wundert mich. Der Guaraní-Aquifer ist ein unsichtbarer See, halb so groß wie Europa, direkt unter unseren Füßen. Hier, aber auch unten in Paraná, Uruguay, Paraguay, Argentinien… Für deine Science-Fiction wäre er wie maßgeschneidert, Matheus, weil dort unten uralte, undurchlässige Sedimente lagern und der Wasserleiter von einem Basaltdeckel fest verschlossen wird. Das Wasser ruht gut geschützt in einem weichen Sandsteinbett. Dreiunddreißigtausend Kubikmeter Wasser, ist dir klar, wie viel das ist? Und über dem Ganzen liegt wie eine Wolldecke die herrliche rote Erde von Paraná und Mato Grosso do Sul. «
Matheus war in Gedanken jedoch ganz woanders. Plötzlich hatte er Augusto Millers Stimme im Ohr. › Der Erstgeborene, Martino Johannsen, ist bei einer Art Jagdunfall gestorben. ‹ Warum erinnerte er sich plötzlich an diesen Satz? › Der Unfall hat sich auf ihrem Anwesen in Paraná ereignet. ‹
Paraná …
Leopoldo Four sagte unterdessen: » Falls es dich interessiert, hier am Institut arbeitet ein Geologe, der sich auf die Probleme des Guaraní-Aquifers spezialisiert hat. «
» Probleme? « , fragte Matheus und klinkte sich wieder ins Gespräch ein.
» Klar. Nicht zuletzt wegen der Nutzungsrechte der verschiedenen Anrainer. Das Gebiet erstreckt sich schließlich über mehrere Staatsgrenzen hinweg, und es fehlt ein länderübergreifendes Gesetz, das die Sache regeln würde. Beim Nil ist das auch so. Er entspringt in Burundi, aber das Wasser nutzen praktisch nur Ägypten und der Sudan. In ein paar Jahren wird man sich wegen des Nilwassers erschießen, das kann ich dir schriftlich geben. In Israel, wo es um den Jordan geht, tut man das seit Jahrzehnten. Die Gesetze sind einfach unzulänglich. «
» Da wir nun schon im
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