Durst: Thriller (German Edition)
Bereich des Hypothetischen sind, Leopoldo: Was wäre, wenn ich eine Art Eigentumsanspruch auf den Guaraní-Aquifer erheben würde? «
» Dann wärst du schlicht übergeschnappt. «
» Klar, aber warum würde ich es tun? Wegen des Geldes? «
Leopoldo Four atmete schwer. Einen Moment schwieg er, dann sagte er: » Nein, das denke ich nicht. Heutzutage kann man bestens an Wasser verdienen, ohne es gleich zu besitzen. Man braucht nur die Konzession. Es gibt nämlich ein letztes Tabu auf diesem Sektor: Wasser ist wie Luft, und die Luft kann man nicht besitzen, gütiger Gott. Die Chinesen versuchen es. Sie produzieren Wolken und stehlen sie dann den Nachbarn. Auch in Peru tun sie es, in den Anden. Mit großen Netzen fangen sie den Wasserdampf aus den Wolken auf, lassen das Wasser in große Behältnisse abtropfen und verkaufen, was übrig bleibt. Weißt du, was Nestlé in Europa für die Konzession zur Nutzung von Quellen zahlt, um das Wasser dann in eleganten Flaschen mit raffinierten Etiketten im Supermarkt verkaufen zu dürfen? Dreihundert Euro im Jahr. Dreihundert Euro für die Konzession. Will heißen: Mit dreihundert Flaschen haben sie die Unkosten wieder drin. Nein, in dem von dir konstruierten Fall ginge es meines Erachtens nicht um Geld. Mir fallen eher politische Gründe ein. Nur ein fiktives Beispiel: Wenn ich inmitten der Anarchie, mit der das Wasser des Guaraní-Aquifers genutzt wird, präzise Regeln aufstelle, dann besteht doch sicher das Risiko, dass ich einen gewaltigen Streit provoziere, oder? Vielmehr besteht nicht das Risiko, sondern ich provoziere den Streit unweigerlich. «
Matheus sah wieder Augusto Millers eindrucksvolle Gestalt vor sich. Polywasser ist außerdem nur eine Metapher.
» Aber du hältst das alles für Science-Fiction? « , fragte er Leopoldo.
Fours gesamtes Gewicht konzentrierte sich nun scheinbar in den feisten Händen, die er vor seiner Nase zusammenlegte. » Ja sicher… Andererseits aber auch wieder nicht. Auf diesem Gebiet gibt es viel zu holen. Vor ein paar Jahren wollten die Japaner ein Patent auf die Frucht der Cupuaçu anmelden, wusstest du das? «
» Klar. «
» Die Frucht des Großblättrigen Kakaos ist noch besser als der gewöhnliche Kakao, und sie wollten den Namen für sich beanspruchen. Was nichts anderes bedeutete, als dass man das Wort › Kakao ‹ nicht aussprechen dürfte, ohne zuvor eine Lizenzgebühr zu zahlen. Stell dir das mal vor! Schlussendlich hat ihnen ein internationales Gericht einen Strich durch die Rechnung gemacht. Fast täglich kommt aber jemand daher und schaut den indigenen Völkern ihr uraltes Wissen ab, um es dann patentieren zu lassen. Du kaufst die entsprechenden Produkte in der Apotheke, und die Völker sehen nichts von dem Gewinn. «
» Wir sprechen hier aber von Wasser. «
» Ob es das wirklich besser macht? « Leopoldo lächelte mit seinen Nilpferdaugen und kratzte sich den Bauch.
Als er wieder draußen war, begab sich Matheus sofort zur Bushaltestelle. Er wollte nach Hause zurück. Die Temperaturen in São Paulo waren deutlich gesunken, und es hatte sich ein Wind erhoben. Er hatte es eilig. Irgendetwas war in Bewegung geraten, und er spürte, dass er es nicht mehr aufhalten konnte. Sein Handy verzeichnete einen entgangenen Anruf von Sarah Clarice. Er rief zurück. Sie meldete sich beim ersten Klingeln.
» Matheus, wie geht es dir? «
» Hallo. Gut, und dir? «
» Auch gut. Ich habe dich vorhin angerufen, aber dein Handy war aus. «
» Hab ich gesehen. Was ist denn? «
» Ich habe gerade etwas gelesen, das dich interessieren dürfte. «
Matheus verspürte eine gewisse Nervosität.
» Dieser italienische Journalist, Carlo Apostolo, hat mir eine merkwürdige Mail geschickt. «
» Was hat er denn geschrieben? «
» Er hat mir den Zeugenbericht deiner Schwägerin Floriana geschickt. «
Matheus schwieg.
» Dein Vater wurde im November 2001 auf einer Fazenda in Paraná erschossen. Dein Bruder Ulisses hat seinem Mörder ins Gesicht geschaut. Seither lebt er in einem Versteck, weil er Repressalien gegen seine Familie befürchtet. Apostolo hat die Mail mir geschickt, aber eigentlich wollte er sie dir zukommen lassen. Er kennt die Koordinaten, mit deren Hilfe man Ulisses in seinem Versteck finden kann. «
» Koordinaten? Was soll das heißen? «
» Keine Ahnung. Wenn du die Mail liest, wirst du es vielleicht begreifen. «
Matheus blieb mitten auf der Straße stehen. Seine Augen tränten wegen der Kälte. In seinem Innern
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