Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Emmi, »um ihr was zu sagen.«
»Um ihr was zu sagen?«, fragt Maev. »Dass er jetzt ein Tonton ist. Dass er sich nichts aus ihr macht. Na bitte, da hast du deine Nachricht. Hiermit ist sie ausgerichtet.«
»Noch was spricht gegen ihn«, sagt Lugh. »Darktrees liegt ziemlich versteckt. Man muss wissen, wo es ist. Das habt ihr doch alle gesagt.«
Maev nickt.
»Und?«, fragt Emmi.
»Und wie haben die Tonton es gefunden?«, fragt er. »Gut versteckt, tief im Wald, in einer dunklen Nacht. Jemand muss ihnen gesagt haben, wo es liegt, wie man’s findet. Jemand muss sie dahin geführt haben. Jemand, der schon mal da gewesen war und den Weg kennt. Jack.«
Eine Stimme in meinem Inneren flüstert:
Jack weiß, wo Darktrees liegt. Weißt du noch, wie er dir von Hopetown dahin gefolgt ist? Wie er zwischen den Bäumen durchgeschlichen ist, tief in den Wald rein, einfach an den Wachen der Free Hawks vorbei?
Ich verschließ meine Ohren vor der hinterhältigen Bosheit dieser Stimme.
»Das würde er nicht tun«, sag ich.
»Wie haben die Tonton es dann gefunden?« Lugh spricht sanft. Seine Worte hängen in der Luft, und ich atme sie ein. »Was weißt du von ihm?«, fragt er. »Ich meine, was weißt du wirklich? Nichts. Er schlägt sich immer auf die Seite, die ihm gerade passt. Der Mann ist falsch. Ein Gauner. Er hat euch alle verraten. Hat euch verraten und betrogen.«
Emmis Augen füllen sich mit Tränen. »Ist mir egal, was du sagst«, sagt sie. »Ich kenn Jack in meinem Herz. Sabas Herz kennt ihn auch. Er ist kein Verräter.«
»Dann hat er euch immer die Wahrheit gesagt, ja?«, fragt Lugh.
»So wie du, meinst du?« Auriels kühle Stimme. Unsere Köpfe drehen sich zu ihr um. Es ist das Erste, was sie dazu sagt. Sie hat die ganze Zeit an der Tür gestanden und zugeguckt.
Lugh guckt sie finster an. »Ich reite jedenfalls nicht mit den Tonton«, sagt er. Er dreht sich wieder zu mir um. »Eins muss ich ihm lassen, er hat den Anstand gehabt, dir deine Kette zurückzuschicken. Du siehst schon viel besser aus. Mehr wie du selbst. Heute ruhen wir uns aus, heute Abend packen wir, und morgen beim ersten Licht machen wir uns auf den Weg. Na, kommt schon, ihr alle, Kopf hoch! Das Große Wasser wartet auf uns. Ein schönes neues Leben in einem schönen neuen Land, und ich kann’s jedenfalls kaum erwarten, da anzukommen. Was sagt ihr?«
»Nichts wie los«, sagt Tommo.
»Das ist die richtige Einstellung. Du kannst gern mit uns kommen«, sagt Lugh zu Maev.
Sie sagt nichts. Legt sich einfach hin und dreht das Gesicht zur Zeltwand.
Lugh und Tommo gehen raus. Lugh kann mit der Haltung seines Rückens mehr sagen als die meisten Leute mit dem Mund. Im Augenblick schreit er der Welt zu, dass er recht hat, und damit fertig. Recht mit allem. Seine Schultern sind sich so sicher. Seine Arme so voller Gewissheit.
Ich weiß nur eins ganz sicher: Lugh irrt sich. Ich weiß nicht, wie oder warum oder was. Aber er irrt sich. Er muss sich irren.
I ch geh am Fluss lang. Hin und her. Vor und zurück. Bis ich einen Pfad ins Ufer getrampelt hab.
Jack hat mir den Herzstein geschickt. Aber in dem ganzen Durcheinander hat er keine Zeit gehabt zu sagen, warum. Warum er ihn Maev gegeben hat, ihr gesagt hat, sie soll mich suchen, ihn mir geben. Ich muss das rausfinden.
Angenommen, Maev und Lugh haben recht. Er hat gewollt, dass ich den Herzstein zurückkrieg, damit ich weiß, dass er sich nichts mehr aus mir macht. Selbst wenn das stimmt: Warum sucht er sich dafür dann ausgerechnet einen blutigen Überfall auf die Free Hawks aus? Andererseits, vielleicht hat er ja gedacht, es wär seine einzige Gelegenheit. Aber warum es überhaupt tun? Wenn einem an jemand nichts mehr liegt und derjenige nicht in der Nähe ist, macht man sich doch nicht die Mühe, ihm das zu sagen.
Mein Verstand beschnüffelt das Problem. Leckt dran. Knabbert es an. Reißt es auseinander. Immer und immer wieder, bis es mir so vorkommt, als ob jemand aus vollem Hals in meinem Kopf brüllt. Dann spring ich in den Fluss, tauch immer wieder unter, bis die Stimme in meinem Kopf still ist. Und dann fang ich von vorn an.
Ich komme einfach nicht drauf, was es bedeutet. Wie es dazu gekommen sein kann, dass er mit den Tonton reitet. Dass er bei so schlimmen Taten in Darktrees mitgemacht hat.
Knifflige Fragen sind noch nie was für mich gewesen. Lugh ist der von uns, der um die Ecke denken kann. Der, der gut ist bei Rätseln und Geduldsspielchen. Aber ihn kann ich nicht fragen. Er würde
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