Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
ordentlich eingepackt, bereit für den Aufbruch am frühen Morgen. Ich nehm meinen Rindenbeutel und guck schnell nach, was drin ist: ein voller Wasserschlauch, Feuerstein, Messer, Decke, Dörrfleisch – das Allernötigste zum Überleben. Als ich meinen Kittel über den Kopf zieh, denk ich über Waffen nach. Ich werd welche brauchen. Mein Blick wandert zu Lughs Armbrust und Köcher. Nein. Das wär nicht richtig. Stattdessen nehm ich seine Steinschleuder. Steck sie hinten in meine Hose. Ich verdränge, dass ich ihn und Emmi und Tommo zurücklasse. Und dass sie sich wahnsinnige Sorgen machen werden, wenn sie merken, dass ich weg bin. Die plötzliche beklemmende Angst davor, allein zu sein, schluck ich runter. Jack ist in Schwierigkeiten. Er braucht mich.
Mach schnell. Denk nicht nach.
Ich nehm Hermes’ Zaumzeug. Schultere meinen Beutel. Tracker sitzt da, beobachtet mich, wartet. »Na komm«, sag ich zu ihm.
Ich guck nach, ob die Luft rein ist, dann schlüpfen er und ich wieder nach draußen. Wir laufen ans andere Ende vom Lager, um Hermes zu holen. Am Nachmittag haben sie die Tiere – Pferde, Kamele, Maultiere und alles – zusammengetrieben und in eine Einzäunung aus Pflöcken und Seilen gesperrt für den Fall, dass der Lärm am Abend sie erschreckt. Unterwegs pfeif ich nach Nero. Als die Einzäunung in Sicht kommt, bleib ich stehen. »Komm her, Tracker.« Er drückt sich an meine Seite. »Du kannst nicht mitkommen, es ist zu weit. Du musst hier bei Auriel bleiben. Sie kümmert sich um dich.« Dabei nehm ich ein Stück stabiles Seil aus Silberölweidenrinde von meinem Gürtel und bind es ihm um den Hals. Ich führ ihn zu einer großen Pappel, die hinter den letzten Zelten steht, und bind ihn am Stamm fest. Seine hellen Augen folgen meinen Bewegungen. »Guck mich nicht so an«, sag ich, »es ist zu deinem Besten.«
Er stößt mich mit dem Kopf an. Meine Nase kribbelt, aber ich reiß mich zusammen. Ich hab keine Zeit zum Weinen. Ich kraul ihm die Ohren und küsse sein zottliges Fell. »Danke«, flüster ich. »Und jetzt bleib hier. Pst.«
Dann verlass ich ihn. Das brave Tier gibt kein Geräusch von sich. Genau wie ich es ihm gesagt hab.
Nero lässt sich aus der Dunkelheit fallen und landet auf meiner Schulter. Der Herzstein baumelt von seinem Schnabel. »Gib ihn mir, du Halunke.« Ich nehm ihm den Stein ab und häng ihn mir um den Hals. »Eigentlich sollte ich dich auch anbinden und hierlassen.«
Wir kommen zu der Einzäunung mit den Tieren. Auriel ist da. Sie steht an Hermes’ Kopf und streichelt ihm die Nase. Blitzgescheites Sternenmädchen mit dem dunkelroten Schal. Die Glasperlen in ihrem Haar glitzern im Mondlicht. Nero hockt sich auf die Einzäunung neben sie.
Ich geh zu Hermes und werf meinen Beutel auf den Boden. Ich sag nichts. Ich guck sie nicht an, nicht mal ganz flüchtig. Ich werf Hermes die Pferdedecke und eine weiche Riedmatte über und leg ihm das Zaumzeug an.
Sie hilft mir, es zurechtzurücken. Unsere Blicke treffen sich. Ich guck schnell weg.
»Ich reite Jack hinterher«, sag ich. »Nach New Eden. Er hat mir doch eine Nachricht geschickt. Er ist in Schwierigkeiten.«
»Ich sag das jetzt zum letzten Mal«, sagt sie. »Du bist gefährlich offen, Saba. Wir haben das nicht richtig zu Ende gebracht, wir haben im falschen Augenblick aufgehört. Bitte bleib hier und lass es mich zu Ende bringen.«
»Ich kann nicht warten. Ich hab schon zu viel Zeit verloren.«
»Na schön«, sagt sie, »ich hab getan, was ich tun kann. Ich hab dir was mitgebracht.«
Sie geht zum Zaun, wo ein Bogen lehnt, und nimmt ihn auf. Ein heller, silberweißer Bogen. Ich lass Hermes’ Zaumzeug los. Eisige Schauder laufen mir über die Haut.
Dann duck ich mich unter Hermes’ Hals durch zu Auriel. Sie hält mir den Bogen hin.
»Der Bogen von deinem Großvater«, sag ich.
»Ja. Bevor er Schamane wurde, ist er ein großer Krieger gewesen. Jetzt gehört er dir.«
»Kernholz von der Weißeiche«, sag ich.
»Du weißt es noch«, sagt sie.
»Ich weiß es noch.«
Ich streck die Hand aus und nehm den Bogen. Meine Haut kribbelt, wo sie das Holz berührt. Ich fühl, wie glatt die Oberfläche ist. Wieg den Bogen in der Hand. Er fühlt sich gut an. Wahr. Perfekt.
Auriel gibt mir einen Pfeil. Ich heb den Bogen. Leg den Pfeil ein. Er schmiegt sich in meine Hände. Als ob er ein Teil von mir wär. Meine Hände bleiben ruhig und sicher. Kein Beben. Kein Zittern.
»Er ist brauchbar«, sag ich. Ich häng ihn mir um. Auriel
Weitere Kostenlose Bücher