Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
»Pack fest zu«, sag ich ihm. Er gehorcht.
Maev kniet sich neben ihn, das Messer bereit. »Tut mir leid«, sagt sie. »Das wird weh tun.«
»Tu’s einfach«, sagt er. Als sie ihm ins Fleisch schneidet und ein Kreuz in seine Haut ritzt, gibt er keinen Laut von sich. Aber er zerquetscht mir fast die Hand.
Maev legt den Mund auf die Wunde. Sie saugt das Gift raus und spuckt es auf den Boden, immer wieder, bis sie alles raus hat.
»Fertig«, sagt sie und steht auf. »Ich schau mal, ob Emmi Hilfe braucht.«
»Maev«, sagt Lugh.
»Ja?«
»Danke«, sagt er hastig. »Du bist … toll. Jetzt gerade und … vorhin auch. So was hab ich noch nie erlebt. Du hast uns das Leben gerettet.« Ihre Blicke begegnen sich. Nur kurz. Aber es reicht, um ihre Wangen rosa zu färben. Ein kleines Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. Sie und Tommo gehen rüber zu Em.
Dann sind Lugh und ich allein. Ich knie noch neben ihm, halt noch immer seine Hand. Er guckt vor sich hin. Presst die Lippen zusammen. Seine Finger zucken. Sein ganzer Körper bebt. Er hat einen Schock. Vom Ritt, vom Kampf, von seiner Verletzung.
»Tut mir leid, dass ich einfach so abgehauen bin«, sag ich, »ohne was zu sagen. Aber ich hab’s tun müssen. Du hättest versucht, mich aufzuhalten, und Jack braucht mich. Er hat nach mir geschickt, Lugh, er ist in Schwierigkeiten. Er hat doch eine Nachricht geschickt. Ich hab’s rausbekommen. Ich soll ihn beim nächsten Vollmond am Lost Cause treffen.«
Er dreht den Kopf und sieht mich an. Ich zuck zurück. Er hat gar keinen Schock. Das ist Wut, weißglühende Wut. Sie macht ihn brutal. Er reißt unsere verschränkten Hände hoch und hält sie zwischen unsere Gesichter.
»Wir haben mal zusammen geatmet, du und ich. Wir haben mal dieselben Gedanken gedacht. Dieselben Gefühle gefühlt. Sind einer in den Fußstapfen des andern gegangen. Wir haben nur deshalb überlebt, weil wir uns gehabt haben.«
Seine leisen Worte sind wie Peitschenhiebe, schnell und fest. Mit jedem Wort drückt seine Hand fester zu. Immer fester, bis der Schmerz rot in meinem Kopf aufblitzt.
»Das ist noch nicht so lang her«, sagt er. »Weißt du noch?«
»Ja«, sag ich keuchend.
»Du hast gewusst, dass ich dir folge, weil du dasselbe getan hättest. Wenn Maev nicht gewesen wär, wären wir jetzt tot. Ich wär tot. Und alles wegen Jack. Alles für Jack. Für einen Mann, den du kaum kennst. Für den Mann, der geholfen hat, deine Freunde zu töten.«
Meine Hand tut jetzt so weh, dass ich vor Schmerzen aufschrei. Ich guck ihm in die Augen.
»Sag mir, Saba«, sagt er. »Tut das weh?«
»Ja«, flüster ich.
»Ja«, sagt er.
Er lässt meine Hand los. Ich drück sie mit der anderen schützend an die Brust. Sie pocht und kribbelt, als das Blut wieder fließen kann. Ich werd blaue Flecke kriegen. Lugh geht rüber zu Emmi, um sich von ihr die Wunde versorgen zu lassen.
Die anderen haben uns alle beobachtet. Keiner guckt mir in die Augen.
Auch gut.
Soll er mich doch hassen.
Sollen sie mich doch alle hassen. Das Wichtigste ist, ich bin da, wo ich sein will. Wo ich sein muss. Und das ist hier. Im Tonton-Gebiet. In New Eden. Auf dem Weg zum Lost Cause. Auf dem Weg zu Jack.
E s gibt nur einen Pfad vom Yann Gap weg. Er führt in den Wald.
Ich steck mein Messer in den Stiefel, häng mir Bogen und Köcher um und den Wasserschlauch an den Gürtel. Dann pfeif ich nach Nero und mach mich auf den Weg, Tracker im Schlepptau. Als ich zu den anderen komm, bleib ich stehen und sag: »Ich muss mich beeilen, ich muss bei Vollmond am Lost Cause sein.«
»Das ist in zwei Nächten«, sagt Maev. »Du hast keine Ahnung, wie weit es ist oder wo es ist. Das ist unmöglich.«
Ich lächele in mich rein. Was würde Jack jetzt sagen? »Es ist nicht unmöglich«, sag ich. »Nichts ist unmöglich.«
»Du hast Hermes vergessen«, sagt Emmi.
»Es ist meine Schuld, dass ihr hier seid«, sag ich. »Dass ihr eure Ausrüstung und eure Pferde verloren habt. Das tut mir leid. Mehr als ich sagen kann. Ich lass euch Hermes und den Rest von meinen Sachen da. Ihr vier könnt euch einen anderen Weg von hier weg suchen, zurück zum Snake River. Zieht nach Westen. Jack und ich, wir finden euch.«
»Du kannst doch nicht zu Fuß gehen«, sagt Maev.
»Ich stehl mir unterwegs ein Pferd«, sag ich. »Bis dann«.
Wir quetschen uns nebeneinander auf den Pfad, Tracker und ich. Ich duck mich unter niedrigen Zweigen durch. Von beiden Seiten drängen Pflanzen auf den Pfad. Sieht nicht so aus,
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