Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Mann, hab ich das satt!«
»Zum Plaudern haben wir keine Zeit!« Maev ist schon vom Pferd gesprungen, rennt zum nächsten Pfeiler und fängt an, das Geländerseil von der abgestürzten Brücke einzuholen. »Hast du da drüben ein Stück dünne Schnur?«, ruft sie mir zu.
»Nesselschnur!«
»Bind sie an einen Pfeil und schieß sie rüber!«, schreit sie. »Wir machen eine Seilrutsche!«
Ich renn zu Tracker. Nehm ihm die Nesselschnur ab und bind sie an einen meiner Pfeile.
Ich weiß, was sie vorhat. Das Geländerseil ist fest mit dem Pfeiler auf ihrer Seite verbunden. Sie wird das eine Ende an die Nesselschnur binden und den Pfeil zu mir zurückschießen. Ich binde dann das Geländerseil an einen der Pfeiler auf meiner Seite. Dann können sie zu mir rüberrutschen.
Maev schreit: »Lugh! Tommo! Emmi! Ihr müsst sie hinhalten, bis wir hier fertig sind. Geht in Deckung! Bewegt euch!«
Die drei haben vor Schreck wie erstarrt dagesessen. Aber jetzt kommen sie in Bewegung. Schnell springen sie von ihren Pferden und ducken sich hastig hinter die Felsen, die die Schlucht säumen. Mittlerweile hab ich die Schnur am Pfeil festgebunden. Ich leg ihn ein und schieß. Der Pfeil fliegt rüber und bohrt sich direkt zu Maevs Füßen in den Boden. Maev nimmt ihn und bindet das Ende des Geländerseils an das Ende der Nesselschnur. Auf meiner Seite bellt Tracker sich die Kehle aus dem Leib. Nero fliegt hin und her, zetert und kreischt.
»Beeil dich!«, ruft Emmi.
Jetzt hat auch Lugh kapiert, was Maev vorhat. »Das klappt nicht«, sagt er. »Das Seil ist zu schwer. Das kommt nicht bis zu Saba.«
Ohne hochzugucken, sagt Maev: »Danke, Lugh. Sehr hilfreich. Hast du eine bessere Idee? Hab ich mir gedacht. Okay, ich bin hier fertig. Du auch, Saba?«
»Fertig!«, ruf ich.
Sie legt den Pfeil ein. Die Schnur ist an den Pfeil gebunden. Das Geländerseil ist an die Schnur gebunden. Sie zielt hoch in die Luft. Dann schießt sie. Der Pfeil fliegt im hohen Bogen in den klaren blauen Himmel.
Er schafft es fast.
Aber Lugh hat recht. Das Seil ist zu schwer. Wir gucken alle zu, wie der Pfeil – um ein Haar wär er auf meiner Seite gelandet – vom Himmel fällt. Ich werf mich auf den Bauch und lehn mich über den Rand der Schlucht. Der Pfeil hat sich in einem Busch verfangen, der an der steilen Wand der Schlucht wächst. Gut drei Meter unter mir.
Ich guck zu ihnen rüber. Sie gucken zu mir rüber. Maev will das Seil wieder zu sich ziehen.
»Nein, warte!«, ruf ich. »Warte! Nero!« Ich pfeif nach ihm und zeig auf den Busch. Er saust runter und landet drauf. Guckt sich den Pfeil an, dann guckt er mit seinen klugen schwarzen Augen zu mir hoch. »Genau, hol die Schnur!«, sag ich. »Bring mir die Schnur, Nero.«
Mit dem Schnabel versucht er, den Pfeil vom Busch loszumachen.
Der Boden rumpelt. Reiter nähern sich. Das Trommeln wird lauter.
»Sie sind gleich da!«, brüllt Tommo.
»Waffen laden!«, brüllt Maev.
Sie laden alle ihre Armbrüste und Bögen. Ich rappel mich hoch und mach’s wie sie.
»Passt auf die Blasrohrpfeile auf!«, schrei ich.
»Saba! Ich hab Angst!«, ruft Emmi.
»Dann bist du keine Schwester von mir! Noch mal von vorn!«
»Ich hab vor gar nichts Angst!«, brüllt sie.
»Schon besser!«
Die Kopfjäger kommen in Sicht. Ein Dutzend Männer. Aber nicht auf Pferden.
Auf Vögeln.
Sie reiten Vögel.
Keine fliegenden Vögel. Laufvögel. Riesige. Zweieinhalb Meter hoch. Mit schwarzem Gefieder und kurzen weißen Schwänzen, langen kräftigen Beinen, großen zweizehigen Füßen und kleinen Köpfen auf langen Hälsen.
Genau wie ihr Tempelfeuerhüter sind auch die Jäger ganz weiß angemalt. Mit schwarzen Schlitzen um die Augen und Münder. Die Lumpenstreifen, die sie anhaben, flattern im Wind. Auf dem Kopf tragen sie Helme aus Menschenschädeln. Lange Pferdeschwänze hängen ihnen auf den Rücken. Ein paar von ihnen halten Speere. Andere machen ihre Blasrohre fertig. An der Taille tragen sie Beile.
Der Trommler kommt ganz hinten, zwei Lederkästen sind links und rechts auf seinem Vogel festgemacht. Er treibt die Jäger an, trommelt mit den Fersen einen schnellen Rhythmus. Als sie uns entdecken, fangen sie an, ein furchterregendes Geräusch zu machen. Ein schrilles endloses Jaulen. »Uhluhluhluhluhla! Uhluhluhluhla!«
»Zielt auf die Vögel!«, ruft Maev. »Auf die Hälse!«
Die Jäger rasen auf uns zu. »Wartet!«, brüllt Maev.
Sie kommen näher. Dieses irre Kriegsgeschrei lässt mir die Haare zu Berge
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