Dustlands - Die Entführung
verletzte Hand zu säubern.
Ich geh Lugh hinterher, sag ich. Ich hol ihn zurück. Ich will morgen früh los. Emmi lass ich hier bei dir.
Verstehe, sagt sie. Und guckt mich an. Als ob sie noch auf was wartet.
Pa hat immer gesagt, wenn ihm irgendwas passiert, sollen wir zu dir gehen, sag ich.
Ach, hat er das gesagt? Mercy schüttelt den Kopf. Ich weiß nicht … Tracker und ich sind aufeinander eingespielt. An Gesellschaft sind wir nicht gewöhnt.
Aber du bist Mas Freundin gewesen, sag ich. Bitte, Mercy. Du bist die Einzige, die uns helfen kann.
Sie zögert lange mit ihrer Antwort. Dann seufzt sie.
Sie muss aber für ihren Lebensunterhalt arbeiten, sagt sie.
Sie wird arbeiten, sag ich.
Und was sagt sie selbst dazu?, fragt Mercy. Emmi?
Emmi sagt gar nichts. Sie ist über ihre Schale gebeugt, guckt nicht hoch und isst langsam. Ich weiß aber, dass sie zuhört.
Jetzt tu nicht so, als ob du taub wärst, Emmi, sag ich. Mercy hat gefragt, ob du gerne hierbleiben möchtest und ihr hilfst, solang ich Lugh such.
Emmi hebt den Kopf und guckt ganz ausdruckslos. Zuckt die Achseln. Und beugt sich wieder über ihre Schale.
Ich schüttel den Kopf. Sie wird sich schon damit anfreunden, sag ich.
Das hoff ich, sagt Mercy.
Du wirst keine Mühe mit ihr haben, sag ich. Versprochen.
W ie ist unsere Ma so gewesen?, fragt Emmi.
Tracker hat den Kopf in Mercys Schoß gelegt. Sie reibt ihn hinter den Ohren, und er macht selig die Augen zu. Nero döst auf meiner Schulter.
Natürlich, sagt Mercy, du hast sie ja gar nicht gekannt. Aber Saba erinnert sich bestimmt.
Nicht an viel, sag ich. Jetzt nicht mehr. Es ist, als ob sie … verblasst wär.
Sie hat mehr gelacht als jeder andere, den ich kenn, sagt Mercy. Gibt ja nicht viel, worüber man in diesem Leben lachen kann, aber Allis hat immer was gefunden. Ich glaub, deshalb hat Willem – deshalb hat euer Pa sie so geliebt.
Lugh ist genauso, sag ich. Er kommt ganz nach Ma. Pa hat nie mehr gelacht, seit Ma tot ist. Nicht ein einziges Mal, soweit ich mich erinnere jedenfalls.
Nein, sagt Mercy. Das denk ich mir.
Wir schweigen ein Weilchen. Dann: Es ist meine Schuld, dass sie tot ist, sagt Emmi. Sie hat mit einem Stock in der Erde gemalt, und jetzt drückt sie ihn ganz feste auf. Er bricht durch. Mercy guckt mich mit ihren durchdringenden Augen an. Ich guck weg.
Tja, eine Geburt ist eine gefährliche Sache, sagt Mercy. Und du bist einen Monat zu früh gekommen. Ich sag dir was – manchmal denk ich, es ist meine Schuld gewesen.
Deine Schuld? Emmi guckt verdutzt.
Ja, sagt Mercy. Ich hatte fest vorgehabt, zu kommen und zu helfen. So ist es geplant gewesen. Ich hätt zwei Wochen, bevor du fällig gewesen bist, kommen und bei der Geburt helfen sollen, genau wie bei Sabas und Lughs Geburt. Manchmal denk ich, wenn ich bloß früher gekommen wär, wenn ich bloß da gewesen wär, hätt Allis vielleicht überlebt. Aber so darf man nicht denken. Sonst macht man sich verrückt. Aber ich bin noch rechtzeitig gekommen, um zu helfen, dich am Leben zu halten, kleines rotes Würmchen, das du gewesen bist. Damit tröst ich mich. Mit dem Gedanken: Allis mag tot sein, aber ihre Tochter lebt. Ich seh sie in dir.
Echt?, fragt Emmi, die Augen weit aufgerissen.
Aber ja. Vom Aussehen her kommst du nach deinem Vater – außer bei den Augen –, aber du bist wie sie. Hier. Und hier. Mercy berührt ihr Herz und dann ihren Kopf. Das seh ich. Soll ich dir noch was sagen?
Ja, sagt Emmi.
Deine Ma hat dich unbedingt haben wollen, sagt Mercy. Sie hat sich gefreut wie ein Schneekönig, als sie rausgefunden hat, dass du kommst … beide, sie und dein Pa.
Das hab ich nicht gewusst, flüstert Em.
Tja, sagt Mercy, jetzt weißt du’s. Und ich weiß, sie wär stolz, dass du so ein feines Mädchen geworden bist.
Emmi guckt mich an und dann sofort wieder zu Boden.
Ich hab immer Emmi dafür verantwortlich gemacht, dass Ma tot ist. Hab kein Geheimnis draus gemacht. Jetzt, wo ich hör, was Mercy sagt, geht mir auf, dass keiner darum bittet, in diese Welt geboren zu werden. Und dass keiner was dagegen tun kann, dass er geboren wird. Nicht mal Emmi.
Babys kommen, wenn es soweit ist, sagt Mercy. Sie nimmt Ems Hand. Keiner ist Schuld daran, dass deine Ma gestorben ist. Keiner ist dafür verantwortlich.
Pa hat gesagt, es hat in den Sternen gestanden, sagt Emmi.
Ach, Kind, sagt Mercy, da steht kein Plan am Himmel. Manche Menschen sterben einfach zu früh.
Aber Pa ist ein Sterndeuter gewesen, sag ich. Er hat
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