Dustlands - Die Entführung
paar Tagesmärsche weg. Ich versteh das nicht. Warum hat er uns nicht hergebracht? Lugh hat wohl recht. Wir sind Pa egal gewesen, es ist ihm egal gewesen, was aus uns wird.
Wie im Traum geh ich weiter, ganz langsam.
Wenn Mercy nicht da ist, setzt euch auf die rote Bank an der Tür und wartet. Hört dem Bach zu. Sie wird nicht lange weg sein. Sie ist nie weit weg.
Ich geh über die Brücke, lass die Rindenbeutel fallen. Schnür die Stiefel auf und schleuder sie von den Füßen. Dann lauf ich in den Bach. Das Wasser geht mir bis zum Knöchel. Ich knie mich hin und schöpf ein bisschen Wasser. Sauber. Kühl. Wunderbar. Ich trink. Ich spritz es mir ins Gesicht, auf den Hals, auf den Kopf.
Dann leg ich mich hin. Ich leg mich auf den Rücken und lass das Wasser um mich rumfließen.
Ich mach die Augen zu.
K ommt nicht oft vor, dass jemand in meinem Bach schläft, sagt eine Stimme.
Ich mach die Augen auf.
Über mir hängt ein Gesicht. Verkehrt rum. Ich blinzel. Komm mir schwerfällig vor. Dumm. Muss ganz kurz eingenickt sein.
Bist du verkehrt rum, frag ich, oder ich?
Das kommt wahrscheinlich auf den Standpunkt an.
Ein haariges Hundegesicht stürzt sich auf mich. Eine lange rosa Zunge schlabbert mir übers Gesicht.
He!, sag ich.
Tracker! Runter, Junge! Eine kräftige Hand kommt auf mich zu. Ich pack sie, und sie zieht mich auf die Füße. Wasser läuft mir aus Haaren und Kleidern.
Es ist eine Frau. Sie steht im Bach. Groß. Schlank. Braun gebrannt. Faltiges Gesicht mit klugen braunen Augen. Ausgeprägte Wangenknochen. Ganz kurze weiße Haare. Vor neun Jahren sind sie noch nussbraun und glänzend gewesen und sind ihr bis zu den Knien gegangen. Ein Wolfshund mit blauen Augen und einem runterhängenden Ohr lehnt sich an sie.
Fast hätt ich das Windspiel übersehen, sag ich. Du machst es einem nicht leicht, dich zu finden.
Ich möchte mir das Gesindel vom Hals halten, sagt sie.
Sie berührt meine Geburtsmondtätowierung.
Saba vom Silverlake. Sie zieht einen Mundwinkel hoch. Du bist ein bisschen gewachsen, seit ich dich zuletzt gesehen hab. Ich bin Mercy.
N och ein bisschen, Emmi?, fragt Mercy.
Mh-hm! Emmi schiebt sich den letzten Löffel in den schon vollen Mund und hält Mercy ihre Schale hin.
Hat dein Vater dir denn keine Manieren beigebracht?, fragt Mercy.
Emmi! Ich guck sie böse an. Man sagt bitte.
Emmi kaut, schluckt, kaut wieder. Oh, murmelt sie. Ja, bitte. Noch ein bisschen, bitte.
Sie isst wie ein Schakal, sag ich. Pa hat sie verwildern lassen.
Das Kind sieht ja halb verhungert aus, sagt Mercy. Und nimm’s mir nicht übel, aber du könntest auch noch ein bisschen Fleisch auf den Knochen vertragen. Schwere Zeiten am Silverlake?
Ich runzel die Stirn. Nein, sag ich.
Möchtest du auch noch ein bisschen zu essen?
Ich halt ihr meine leere Schale hin. Sie zieht eine Augenbraue hoch.
Ähm … ja, bitte, sag ich.
Wir sitzen draußen. Mercy und ich auf der roten Bank, Emmi auf der Stufe vor dem Häuschen. Nero hat seinen Anteil schon runtergeschlungen. Jetzt hockt er auf dem Dach und putzt sich gründlich.
Nehmt eure Schalen und kommt mit, sagt Mercy. Ich bin nicht euer Dienstmädchen.
Sie humpelt rüber zum Kochfeuer, und Em und ich gehen mit unseren Schalen hinterher. Mercy rührt um und gibt uns dann einen Nachschlag von ihrem Kaninchen-Wurzel-Eintopf. Ich folg ihr zurück zur Bank und ess schon im Gehen weiter. Wir setzen uns, und ich nick in Richtung von ihrem Fuß.
Was hast du damit gemacht?, frag ich mit vollem Mund.
Hab mir den Knöchel gebrochen … ach, das ist jetzt schon über ein Jahr her. Hab ihn natürlich selbst richten müssen, und ich hab’s vermasselt … tja … wie man sieht.
Wie kommst du allein zurecht?
Sie zuckt die Achseln. Einfach so. Mir bleibt ja nichts anderes übrig.
Das ist bestimmt schwer, sag ich. Du bist schon ziemlich alt. Jetzt guckt sie ganz streng. Und du bist ziemlich unverschämt. Hat dir das schon mal jemand gesagt?
Ich merk, wie ich rot werde. Es kribbelt mich überall.
Ich sag’s ihr immer wieder, sagt Emmi. Aber sie hört nicht auf mich. Lugh ist der Nette von den beiden. Du würdst ihn mögen.
Halt die Klappe, Em!, sag ich. Hör mal. Wir sind hier, weil … wir sind nicht nur gekommen, um dir von Pa und Lugh zu erzählen.
Hab ich mir schon gedacht, sagt Mercy. Zwischen uns steht eine Schüssel mit sauberem Wasser. Sie gießt eine Flüssigkeit aus einem braunen Glasfläschchen rein, taucht ein Tuch ins Wasser und fängt an, meine
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