Dustlands - Die Entführung
drauf und guck da raus, wo das Fenster mal gewesen ist.
Ich frag mich, wie die Welt wohl gewesen ist, als der Flieger hier neu gewesen ist, vor so langer Zeit. Und wie es gewesen wär, in so einem zu fliegen.
Als Lugh und ich noch Knirpse gewesen sind, hat Pa uns alles darüber erzählt, wie die Abwracker in ihren Fliegern am Himmel geflogen sind. Sie sind überall drüber geflogen und haben so getan, als wären sie Vögel. Manchmal, hat er gesagt, haben sich Hunderte von Abwrackern in einen großen Flieger gequetscht und sind zusammen rumgeflogen.
Lugh und ich haben gedacht, das wär das Verrückteste, was wir je gehört haben. Wir haben Pa nicht geglaubt. Und als wir Pa gefragt haben, warum sie das getan haben, hat er gesagt, dass er das nicht so genau weiß. Sie hätten es eben einfach getan. Da sind wir sicher gewesen, dass er uns Märchen erzählt. Aber jetzt, wo ich selbst welche gesehen hab … tja, ich weiß nicht. Vielleicht stimmt es ja doch.
Es wird dunkel. Wind weht überhaupt keiner mehr. Nicht das kleinste Lüftchen.
Ich bin so müde. Meine Lider sind ganz schwer, ich kann sie kaum noch aufhalten. Ich lass mich auf dem Sitz runterrutschen. Nero kauert auf meiner Brust und kuschelt sich unter mein Kinn. Ich könnt ganz kurz ein Auge zumachen, bevor ich weitergeh. Nicht lange.
Nur ein paar Minuten.
Nur –
Ein Geräusch.
Ich bin wach. Sofort. Alle Muskeln sind angespannt. Bereit, sich zu bewegen.
Nero macht ein Auge auf. Ich halt mir den Finger an die Lippen. Er weiß, was das heißt.
Da ist es wieder. Da bewegt sich was. Draußen. Dann ein Schnauben. Ein Pferd. Eins, das sich nicht sicher fühlt, das ein bisschen nervös ist.
Ich setz Nero auf den Boden. Dann roll ich mich vom Sitz runter und krabbel nach hinten, wo ein Teil vom Flieger fehlt. Ich schlüpf nach draußen. Lande geduckt auf dem Boden und krabbel hinter die Hinterräder, versteck mich.
Es ist eine helle klare Nacht. Das Pferd kommt näher. Jetzt kann ich die Beine sehen. Den Reiter kann ich von hier aus nicht sehen. Das Pferd bleibt stehen, genau vor dem Flieger. Ich halt den Atem an. Es schnaubt noch einmal und scharrt ein bisschen mit den Hufen. Dann schnalzt der Reiter, und es geht weiter.
Ein Pferd. Vier Beine statt zwei. Je nachdem wo Lugh ist, wo sie ihn hingebracht haben, könnt ich in ein paar Tagen bei ihm sein statt in ein paar Wochen. Wenn ich ein Pferd hätt. Das ist heute wohl meine Glücksnacht. Ich zieh Lughs Schleuder aus dem Gürtel. Hol einen großen Stein aus der Tasche.
Ich beweg mich leise wie eine Katze, schlüpf zwischen den Fliegern durch. Mir zittern die Knie. Die Hände auch. Ich versuch, mir einzureden, Lugh wär bei mir und wir würden ein Präriehuhn verfolgen.
Ich vergewisser mich, dass da wirklich nur ein Pferd und ein Reiter sind, und dass sie sich von mir entfernen. Dann stell ich mich offen hin und ziel mit der Schleuder. Ich will ihn aus dem Sattel werfen, nicht töten. Ich lass den Stein fliegen. Aber meine Hände zittern zu stark. Ich treff ihn nur am Arm. Er schreit auf.
Ich muss das Pferd da haben.
Ich renn auf ihn zu. Spring ihn an und zerr ihn vom Pferd. Er wehrt sich nicht. Ich nehm ihn in den Schwitzkasten, und da fängt er an zu schreien, mit einer ganz hohen schrillen Stimme, und tritt mir gegen die Knöchel.
Und während ich ihn so im Schwitzkasten hab, gehen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Zum Beispiel … was macht ein schwächlicher Kümmerling wie der allein hier draußen? … Was für eine dünne kleine Stimme … klingt mehr wie ein Mädchen als wie ein Mann … Moment mal, an wen erinnert mich die Stimme da? Und da rutscht ihm die Kapuze vom Kopf und –
L ass los!, kreischt sie. Lass mich los, du Mistkerl!
Emmi?, frag ich. Ich fass es nicht. Vor Schreck bleibt mir fast das Herz stehen. Emmi!, sag ich. Was zum –
Ich reiß sie am Arm hoch und pack ihr Kinn, damit ich sie besser sehen kann. Es ist Emmi, da gibt’s kein Vertun. Im Nu koch ich vor Wut, hab das Gefühl, mir fliegt gleich der Schädel weg.
Was tust du hier?, brüll ich.
Saba?, fragt sie.
Wer soll ich denn sonst sein, verdammt nochmal?
Ich hab gedacht, du bist ein Sandgeist, so einer aus Pas Geschichten. Sie zeigt auf mein Gesicht. Dein Gesicht ist ganz weiß!
Ich streich mir über die Wange. Sand. Ich muss überall voller Sand sein.
Was hast du vor? Willst du mich umbringen? Das tut weh!, sagt sie und reibt sich den Arm, wo ich sie getroffen hab.
Wenn ich mit dir fertig
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