Dustlands - Die Entführung
rechts in eine Gasse ein. Am Ende gehen wir nach links, dann wieder nach rechts. In diesem Teil der Stadt ist keiner mehr. Alles ist still. Nur in der Ferne hören wir noch ganz schwach Geschrei.
Jack guckt in eine Hütte. Keiner zu Hause, sagt er und zieht mich hinter sich her durch die Tür.
Er wirft einen Haufen Kleider auf den Tisch.
Wo hast du die alle her?, frag ich.
Lektion Nummer eins, sagt er. In einer Menschenmenge kann man am besten was stehlen. Besonders in einer Menschenmenge, die’s eilig hat.
Er zieht das Hemd aus. Als ich seine nackte Brust seh, bleibt mir das Herz stehen. Drei lange Narben gehen ihm von der rechten Schulter bis runter zur linken Hüfte. Rosa, gewunden, runzlig. Narben von Klauenhieben. Ich hab noch nie ein Tier gesehen, das solche Narben hinterlässt. Er zieht ein anderes Hemd an. Fängt an, seine Hose aufzuknöpfen.
Was tust du da?, frag ich.
Wonach sieht’s denn aus? Falls du von der schüchternen Sorte bist, rat ich dir, dreh dich um.
Oh! Hastig dreh ich ihm den Rücken zu.
Lektion Nummer zwei, sagt er. Auch wenn du’s eilig hast, besorg dir die besten Stiefel, die du finden kannst. Keine Halbheiten. Hier, die müssten dir passen. Er wirft mir ein Paar Stiefel zu. Na los, sagt er, probier sie an, ob sie passen.
Ich setz mich auf den Boden und zieh sie an. Spring auf und lauf hin und her. Sie passen wirklich, sag ich. Alle Achtung!
Ich hab ein gutes Augenmaß, sagt er. Okay, ich bin fertig. Du kannst dich wieder umdrehen.
Ich dreh mich um. Wir gucken uns an.
Sein Gesicht ist mit Ruß und Asche beschmiert. Seine Zähne blitzen weiß hier im Halbdunkel. Du kennst meinen Namen, sagt er. Wie heißt du? Mit richtigem Namen, meine ich.
Saba, sag ich.
Saba. Gefällt mir.
Ich muss weiter, sag ich. Meine Schwester wartet bestimmt schon bei den Hawks und –
Bevor ich kapier, was er vorhat, hat er meine Hand genommen.
He! Ich will mich losreißen, aber er hält mich fest.
Saba, sagt er, ich weiß nicht, was für ein Glücksstern dich zu mir geschickt hat, aber ich bin mächtig froh drüber. Wenn du nicht aufgetaucht wärst, wär ich jetzt tot.
Dann führt er meine Hand an den Mund und küsst sie. Dabei guckt er mich mit seinen silbernen Mondlichtaugen direkt an. Ich kann den Rauch auf seiner Haut riechen. Den Rauch und getrockneten Schweiß und, ganz schwach, wie ein Flüstern, Salbei.
Danke, sagt er.
Hitze breitet sich in mir aus, wandert über meine Brust und meinen Hals rauf. Schießt mir ins Gesicht. Ich reiß die Hand weg, schieb sie unter die Achsel und starr ihn wütend an. Was soll das denn?, frag ich.
Ich hab mich bedankt, sagt er. Ich bin nur höflich gewesen.
So eine Höflichkeit hab ich noch nie gesehen, fauch ich.
Ach, das ist noch gar nichts, sagt er. Ich kann noch viel höflicher sein. Er grinst. Ein großspuriges Angebergrinsen, als ob er der König von der Welt wär. Dann bückt er sich schnell und nimmt eine Armbrust auf. Die muss er geklaut haben, als er auch die Kleider geklaut hat.
Ich muss meine Schwester finden, sag ich. Sie müsste bei den Hawks sein.
Ist immer gut, einen Plan zu haben, sagt Jack. Wo trefft ihr euch?
Am Tor in der nordöstlichen Ecke, sag ich.
Da ist kein Tor, sagt er.
Wenn ich da ankomm, schon, sag ich. Schön, dich kennengelernt zu haben, Jack. Ich dreh mich um und will gehen.
Warte! Er packt mich am Arm. Ich hab’s nicht so eilig, sagt er. Ich komm mit dir. Und pass auf, dass du sie auch wirklich findest.
G educkt renn ich durch die Seitenstraßen und Gassen in Richtung Nordostecke von Hopetown. Jack ist gleich neben mir.
Ständig müssen wir zur Seite oder über irgendwas drüberspringen, wenn wieder mal eine brennende Hütte einstürzt. Dachbalken fallen runter, eine Tür fällt um … Die Blechhütten verbiegen und verziehen sich und ächzen in der Hitze.
Schon mal von der Dreierregel gehört?, schreit er im Laufen.
Nein!
Wenn du jemandem drei Mal das Leben rettest, gehört sein Leben dir. Du hast meins heute gerettet, das wär also ein Mal. Rette es noch zwei Mal, und ich gehör ganz dir.
Dann muss ich ja nur aufpassen, dass das nicht passiert, sag ich.
Wir stürzen raus auf offenes Gelände, und da sind sie. Emmi, Maev, Ash und ein Haufen Free Hawks warten mit Pferden auf mich. Sie haben ein großes Loch in den hohen Palisadenzaun gehauen, groß genug, dass wir durchpassen. Ein Hinterausgang, genau wie Maev gesagt hat.
Jack packt mich am Arm. Dreht mich zu sich um. Wenn es passieren soll, dann
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