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Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Paffenroth
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wäre schon möglich. Wie schon gesagt, Erinnerungen sind eine seltsame Sache. Ich erinnere mich vor allem daran, dass mir die Dinge nach meinem ersten schrillen Schrei unglaublich klar und präzise erschienen, obwohl der Raum noch immer voll von herumwirbelndem Staub war, der in meinen Augen und meiner Kehle brannte. Mein Dad und Mr. Caine versuchten, aus dem Schuttberg aufzustehen und ihre Waffen zu ziehen. Auf Dads rechtem Arm lagen jedoch zwei Hände, und da er auf dem unebenen Geröll keinen sicheren Stand fand, hatte er Schwierigkeiten, an seine Waffe zu kommen und sich von den grapschenden Händen loszureißen.
    Ich bewegte meinen Lichtstrahl leicht nach rechts und fand den Kopf, der zu den beiden Händen gehörte. Haarlos, geschlechtslos, verblasst – er sah eher aus wie ein Gespenst als wie ein Zombie. Gespenster gibt es aber nicht. Es gibt nur unsere Ungeheuer, und die sind menschlich, auf ihre eigene Weise. Sie sind keine luftigen Geisterwesen, die durch Wände huschen – sie sind absolut greifbar und menschlich. Und wenn man jemandem, der zwölf Jahre in einem Keller verbracht hat, mit einer Lampe ins Gesicht leuchtet, dann kann die betreffende Person schon mal für eine Sekunde ins Straucheln geraten. In diesen leblosen Augen lag zwar keine Angst, aber, für einen kurzen Moment, Überraschung und Blindheit.
    Ich drückte den Abzug. Die Masse, die aus seinem Hinterkopf schoss, war ebenso grau und verblasst wie der Rest von ihm, und dann ließ das Ding meinen Dad los und kippte um. Ich verspürte nicht einmal einen Anflug jener tiefen, unbändigen Befriedigung, die ich am Tag zuvor gespürt hatte, als ich gesehen hatte, wie jene bösen Männer getötet worden waren. Stattdessen empfand ich nichts als unendliche Erleichterung.
    Mein Dad und Mr. Caine befreiten ihre Waffen aus ihren Holstern. Ich schwenkte meine Taschenlampe noch ein Stück weiter nach rechts, hinter den Zombie, den ich erschossen hatte, aber auf dieser Seite schienen sonst keine mehr zu lauern. Dad und Mr. Caine richteten ihre Lampen nach links und eröffneten das Feuer. Das Gebrüll dauerte mehrere Sekunden an, dann brach es abrupt ab. Kein Stöhnen mehr, nur noch der schwache, tierische Atem der Lebenden. Dann ein leises Kratzen und Krächzen.
    »Du hast einen verfehlt«, sagte mein Dad zu Mr. Caine. Er hielt seine Waffe hoch. »Meine ist leer.«
    Mr. Caine leuchtete mit seiner Taschenlampe auf eine Hand, die sich ganz leicht bewegte, und ließ den Lichtstrahl dann bis zum Kopf wandern. Es folgte ein weiterer Schuss, dann war alles wieder still.
    Mein Dad schob ein neues Magazin in seine Waffe. »Alles okay?«, fragte er Mr. Caine.
    »Ja«, antwortete Mr. Caine und lud ebenfalls nach.
    »Das hab ich lange nicht mehr gemacht. Irgendwie erinnert es einen daran, dass man noch am Leben ist, wenn man ein paar über den Haufen schießt.«
    Mr. Caine steckte seine frisch geladene Waffe wieder ins Holster. »Ja, ich weiß, was du meinst. Aber ich glaube, ich wäre durchaus mit einem langweiligeren, weniger erquickenden Leben zufrieden, wenn das bedeuten würde, dass ich so was nie wieder durchmachen muss.«
    Dad nickte. »Ja.« Er sah zu mir herauf. »Alles okay?«
    Ich hielt meine Waffe noch immer in der Hand, richtete sie jedoch nach unten. Ich spürte, dass ich wieder kurz davor war, durchzudrehen. »Ich weiß nicht. Kommt einfach schnell da raus.«
    »Sicher, Kleines«, erwiderte Dad und streckte eine Hand nach oben. Ich steckte meine Waffe ins Halfter, um seine Hand zu nehmen und ihm aus dem Loch zu helfen. Dann half Dad Mr. Caine beim Herausklettern.
    Ich schlang meine Arme um meinen Dad und gestattete mir, für eine Sekunde die Kontrolle zu verlieren. »Ich war sicher, dass du sterben würdest«, schluchzte ich in seine Brust. »Ich hab es fast nicht ausgehalten.«
    Er strich mir mit seiner großen, schwieligen Hand über den Kopf und flüsterte mir besänftigende Laute ins Ohr, wie man es oft tut, wenn jemand weint. Ich selbst hatte das neulich Nacht bei Miss Dresden gemacht. Sie schienen universell zu sein, denn obwohl sie der Schwere der Situation eigentlich nicht ganz angemessen waren, reichten sie normalerweise aus, um die betreffende Person wieder sanft in die Normalität zu holen und zu beruhigen. »Schon okay«, sagte er zwischen dem Flüstern.
    Es dauerte nur eine Sekunde, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte. Ich beruhigte mich, und meine Anspannung und mein Schmerz ließen so weit nach, dass ich wusste, dass ich nun genug

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