Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)
geweint hatte und aufhören sollte. Ich löste mich aus der Umarmung meines Dads und leuchtete mit meiner Taschenlampe in das Loch. Ich bewegte den Lichtstrahl über das Gewirr aus Gliedmaßen und dann an den Wänden hinauf, an denen nun die glänzenden, klumpigen Flecken der Gehirne klebten. Dann ließ ich den Lichtkegel wieder nach unten gleiten und auf dem Zombie ruhen, den ich erschossen hatte. Es war ein Mann. Durch den Einschlag der Kugel war er in sich zusammengesackt und lag nun in Embryostellung auf dem Boden.
»Die haben zwölf Jahre lang hier unten gesessen«, sagte ich ganz leise. »Wie hält man das nur aus, einfach so dazusitzen? Im Dunkeln. Ich würde verrückt werden.«
»Das würde jeder«, bekräftigte Mr. Caine, während er und mein Dad mir den Rücken und die Schultern streichelten. »Vielleicht sind sie das ja auch. Das können wir nicht wissen.«
»So dazusitzen, zwölf Jahre lang, nur, damit einem dann der Kopf weggeschossen wird.« Ich biss mir auf die Unterlippe. Es war eine alte nervöse Angewohnheit von mir, die ich allerdings beinahe abgelegt hatte. »Das ergibt doch keinen Sinn. Wenn sie sowieso nur sterben würden, wieso mussten sie dann erst dort sitzen? Wieso konnten sie dann nicht einfach gleich sterben, als alles angefangen hat?«
Meine Gefühle waren recht vage und schwer in Worte zu fassen, aber ich glaube, mein Dad und Mr. Caine empfanden dieselbe intensive, absurde Ungerechtigkeit wie ich. Tatsächlich war Mr. Caine derjenige gewesen, der mir beigebracht hatte, ein offenes Auge für diese Absurditäten unserer Welt zu haben. »Ich weiß, Zoey«, sagte er nun ganz sanft, beinahe flüsternd. »Das war ihre ganz persönliche Folter – ich schätze, wir Menschen würden das wohl ihr Schicksal nennen. Wir wissen nicht, warum. Und ich bin ziemlich sicher, dass sie auch nicht wussten, warum. Aber vielleicht war es ja besser, dass sie es nicht wussten.«
»Dann gab es also einen Grund?«
Ich wünschte mir, ich hätte seine Augen und sein Lächeln sehen können, aber im Inneren des Ladens war es zu dunkel und zu staubig. Mr. Caines aufmunternder Gesichtsausdruck gab mir stets Selbstvertrauen, wenn er selbst Fragen wie diese in der Klasse stellte. »Das hoffe ich, Zoey. Aber das musst du für dich selbst entscheiden. Ich hatte allerdings schon immer den Eindruck, dass du viel mehr von diesen Dingen verstehst als andere Leute. Aber auch dafür kenne ich den Grund nicht. Ich weiß es einfach, wenn ich dich ansehe.«
Ich nickte. Ich erinnerte mich wieder daran, was Milton am Abend meines Gelübdes gesagt hatte: dass es mir vielleicht möglich war, zum Glauben zu finden. Und ich erinnerte mich wieder daran, wie ich vor meinem Gelübde die Anwesenheit von irgendetwas gespürt hatte, das ich als ebenso geheimnisvoll und mächtig wie vertraut und vertrauenswürdig empfunden hatte. Auch wenn ich dieses Gefühl jetzt nicht hatte, gab mir die Erinnerung daran doch ein wenig mehr Zutrauen und Trost. Ich leuchtete mit meiner Taschenlampe von dem toten Mann weg. »Sie tun mir so leid. Aber ich musste euch retten.«
Mein Dad umarmte mich erneut. »Ich weiß, Schatz. Du hast getan, was du tun musstest.«
Es war seltsam, immer nur zu tun, was man tun musste. Ich fragte mich, ob die Menschen jemals das tun durften, was sie tun wollten.
Wir machten uns auf den Weg zurück ins Freie, aber vorher schob mein Dad mich noch einmal in Richtung der Glaskabine. »Ich weiß, dass es jetzt vielleicht nicht mehr ganz so schön ist, aber ich finde, wir sollten trotzdem ein paar von den Sachen mitnehmen«, schlug er vorsichtig vor. Er hatte recht – sein Timing war zwar unglaublich schlecht, aber er dachte einfach nur praktisch und hatte damit recht. Wie immer. Wenigstens etwas Schönes aus diesem Schlachthaus – diesem Grab – zu retten, war nun noch wichtiger als zuvor. Nicht, weil wir dachten, ein paar schöne Kleider könnten uns für all die Hässlichkeit entschädigen oder sie wieder aufwiegen, sondern nur, weil sie vielleicht dafür sorgten, dass wir nicht vollständig von der Brutalität überwältigt wurden.
Merkwürdigerweise erinnerte ich mich in jenem Moment an ein Lied, das meine Mom immer für mich gesungen hatte, als ich noch ein Baby gewesen war. In dem Lied ging es darum, immer »das Positive zu betonen«, aber ein paar Silben waren ganz lang gezogen, damit sie zur Melodie passten, sodass sie sich lustig anhörten.
Jeder von uns schnappte sich so viele Kleider, wie er tragen konnte, und
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