Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)
weshalb ich nicht schon viel früher darauf gekommen war, damals, in der Stadt.
Dann sah ich mir die anderen an, die mit mir auf dem Lagergelände lebten: die, die mit mir angekommen waren und die, die eben erst eingetroffen waren, und ich erkannte, dass die meisten von ihnen an irgendeiner Stelle aufgerissen waren oder dass ihnen Körperteile fehlten. Ein Großteil von ihnen war außerdem über und über voll mit getrocknetem Blut, aber keiner von ihnen schien das geringste Interesse an neuer Kleidung zu haben. Es war ja nicht so, dass ich die Kleider für mich behalten oder sie zusammen mit den zerbrechlichen Sachen versteckt hatte. Nachdem ich mir ausgesucht hatte, was ich anziehen wollte, hatte ich die Kiste offen draußen stehen lassen, aber die anderen durchwühlten sie nur und warfen alles durch die Luft, sodass ich es wieder ordentlich zusammenfalten musste. Ich ließ die Kiste trotzdem weiter dort stehen. Es war ja nicht wie mit den zerbrechlichen Sachen. Wenn es den anderen Spaß machte, die Kleider durch die Gegend zu werfen, anstatt sie anzuziehen, dann war das ihr gutes Recht, und ich war nicht befugt, es ihnen zu verbieten. In gewisser Weise war es nun mein Job – sofern ich nicht gerade las oder mir andere Dinge anschaute –, hinter ihnen aufzuräumen. Es machte mir nichts aus. Es gab mir eine Aufgabe und mehr Verantwortung, und das gefiel mir.
Nun schaute Milton mich in meinen neuen Kleidern an. Dieses Mal gab ich aber nicht vor, ihn nicht zu sehen. Ich blickte ihn offen an, aber meine Bücher hatte ich trotzdem weggepackt, als ich sie hatte kommen hören. Es erschien mir nicht sinnvoll, sie alles über mich wissen zu lassen, bevor ich nicht mehr über sie und ihre Absichten wusste. Milton lächelte wieder sein seltsames Lächeln. Später fiel mir ein passendes Wort dafür ein: Er hatte ein sehr exzentrisches Lächeln. Das ist das richtige Wort. Aber es war ein nettes Lächeln. Es gab mir das Gefühl, dass er sich für mich interessierte, und auch wenn er überrascht darüber war, was ich getan hatte, verärgerte oder verängstigte es ihn nicht. Wenn überhaupt, dann schien er ziemlich erfreut darüber zu sein. Beinahe hoffte ich, er würde mir noch weitere Dinge auftragen, die ich auf dem kleinen Gelände tun konnte, aber ich wusste nicht, wie ich ihn darum bitten sollte oder ob er überhaupt befugt dazu war. »Bist du glücklich da drinnen?«, fragte er.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich schätze, ich hätte ein wenig enthusiastischer sein können, aber ich wollte ihnen nach wie vor nicht das Gefühl geben, dass sie mir einen Gefallen damit taten, wenn sie mich einsperrten – auch wenn es ja stimmte, dass dies der Ort war, an dem ich im Moment bleiben wollte. »Wir wollen dir nicht wehtun«, fuhr er fort. »Verstehst du das?«
Ich schaute Will eine Weile an und sah dann wieder zu Milton hinüber, bevor ich erneut mit den Schultern zuckte.
Milton blickte zu Will hinüber, dann wieder zu mir. »Ja, Will kann dir wehtun, wenn du versuchst, auszubrechen oder jemand anderem wehzutun. Es ist nicht sicher, wenn Leute wie du frei da draußen herumlaufen, weil ihr anderen wehtun könntet. Aber du kannst hierbleiben, in Sicherheit. In Ordnung?«
Dieses Mal nickte ich, weil er sich die Mühe gemacht hatte, mir zu erklären, weshalb ich hierhergebracht worden war. Wahrscheinlich wusste er, was ich der Frau in der Stadt angetan hatte, aber er konnte ganz bestimmt nicht wissen, wie ich mich hinterher gefühlt hatte und dass ich so etwas nie wieder tun würde. Selbst wenn er gewusst hätte, wie ich mich dabei gefühlt hatte, konnte ich ihm nicht vorwerfen, dass er mir nicht vertraute. Und er musste auch gesehen haben, wie die anderen hier drinnen sich gegen den Zaun warfen und versuchten, Will anzugreifen. Wie er schon beim letzten Mal gesagt hatte, als er hier gewesen war: Die Dinge schienen genauso zu sein, wie sie sein sollten. Und ich war froh darüber, auch wenn es mich nach wie vor ein wenig traurig machte, dass ich hier drinnen so einsam war und nicht mit den anderen kommunizieren konnte.
Dann gingen Will und Milton wieder. Es machte mich froh, dass Milton spürte, dass auch ich meine Privatsphäre brauchte und dass sie nicht noch länger blieben, um mich zu beobachten. Ich holte meine Bücher wieder heraus. Damals las ich gerade eine Biografie von Abraham Lincoln, die mir sehr gefiel. Beim Lesen stellte sich mir dasselbe Problem wie bei allen anderen Dingen – mein Körper wollte nicht recht
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