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Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Paffenroth
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mitspielen. Besonders meine Augen verloren immer wieder den Fokus, ich konnte sie nicht richtig kontrollieren. Allerdings hielt mich diese Tatsache nur ein kleines bisschen auf, und Zeit war eines der Dinge, die ich nun wirklich im Überfluss besaß.
    Während ich las, bemerkte ich, dass sich einer der Neuankömmlinge meinem Container genähert hatte. Zunächst las ich einfach weiter, da alle anderen immer nur an mir vorbeigeschlurft waren, ohne mich wirklich wahrzunehmen oder mit mir zu interagieren. Aber diese Person blieb bei mir stehen, schwankte leicht hin und her und schaute mich an, also legte ich das Buch weg, um nicht unhöflich zu erscheinen. Außerdem war ich nun selbst neugierig auf meine neue Nachbarin.
    Ich glaube zwar nicht, dass es weniger unhöflich war, sie anzustarren, aber anfangs wusste ich nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Immerhin wusste ich bereits, dass sprechen keine Option war. Lächeln schien bei Milton und Will auch nicht wirklich funktioniert zu haben, und Bewegungen mit meinem Kopf oder meinen Schultern waren nur sinnvoll, falls sie mich etwas fragte, was mir jedoch höchst unwahrscheinlich erschien. Also saß ich nur da und beobachtete sie.
    Sie trug ein Sommerkleid, dessen Stoff zu einem fahlen Grau verblasst war, das hier und da von dunkleren Flecken durchbrochen wurde, aber man konnte nicht mehr erkennen, welches Muster oder welche Farbe es einst gehabt hatte. Ihre linke Seite war furchtbar verstümmelt, und ein blutiger Stoffstreifen war von ihrem Hals bis zu ihrem Unterleib mit zerrissenem Fleisch verwachsen. Irgendwo dort befand sich womöglich auch noch ihre linke Brust, sie war jedoch nicht zu erkennen. Über diesem Durcheinander war ihr Kopf nach links und leicht nach vorne geneigt. Auf einer Seite war ihr blondes Haar herausgerissen und klebte mit dem getrockneten Blut an ihrem linken Auge und ihrem Hals fest. Ihr rechtes Auge war strahlend blau. Natürlich glänzte es nicht mehr – keines unserer Augen glänzt mehr, weil wir keine Tränen mehr haben, um sie zu befeuchten. Auch das gehört zu den Dingen, um die ich die Menschen beneide, die noch sprechen können. Es war ein paar Schattierungen dunkler als der Himmel an einem sonnigen Tag. Genauso stellte ich mir auch die Farbe eines ungeschliffenen, unpolierten Saphirs vor, auch wenn ich zugeben muss, dass ich mich nur noch an das Wort »Saphir« erinnerte und wusste, dass es einen leuchtend blauen Edelstein bezeichnete – ich konnte mich hingegen nicht daran erinnern, tatsächlich jemals einen gesehen zu haben. Und diese einzigartige kleine Scheibe aus perfektem, lebendigem Blau, die einen schwarzen Nadelstich umschloss, war nun auf mich fixiert, und ich spürte, wie ich von ihrer Intensität und Vitalität vollkommen erfüllt wurde.
    Ich gebe zu, dass ich schamlos auch den Rest ihres Körpers scannte, und er war ebenso perfekt wie ihr eines Auge. Sie war dünn, aber das waren natürlich die meisten von uns. Die Wölbung ihrer verbliebenen Brust und ihre Hüften sahen jedoch noch immer vollkommen, weiblich und anmutig aus. Ihre Beine waren inzwischen viel zu dürr, was ihrer Schönheit jedoch keinerlei Abbruch tat, im Gegenteil: Sie stach dadurch nur umso mehr hervor, wirkte umso zerbrechlicher und schlicht unwiderstehlich. Als ich zum ersten Mal zu ihr emporblickte, ergoss sich das Sonnenlicht von hinten über ihren Körper, sodass sie förmlich erstrahlte und mir das goldene Haar rund um ihr halbes Gesicht mit der kalkweißen Haut wie eine leuchtende Krone auf ihrem Kopf erschien. Sie erinnerte mich an die Sterne, in die ich neulich Nacht geblickt hatte. Sie waren mir wie perfekte Lichtpunkte in der kalten Dunkelheit des Himmels vorgekommen, bevor ich gedanklich in die Einsamkeit abgedriftet war. Ich war mir sicher, dass sie das Schönste war, was ich jemals gesehen hatte.
    Schließlich schüttelte ich mich, riss mich aus meinem unhöflichen Starren und hob meinen Blick wieder, um ihren zu erwidern. Als ich aufstand, machte ich jedoch einen schrecklichen Fehler. Ich konnte nicht anders – ich musste einfach meine Hand ausstrecken und ihr blutiges Haar zurückstreifen. Sie knurrte und fletschte die Zähne, wich vor mir zurück und schlug meinen Arm weg. Hastig zog ich meine Hand zurück. Ich war über mein eigenes Verhalten ebenso entsetzt wie über die Möglichkeit, dass sie mir nun vielleicht nicht mehr vertrauen würde. Ich hatte das Gefühl, es irgendwie wiedergutmachen zu müssen, und so schob ich die

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