Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)
Hoffnung, dass mein Haar und das daran klebende bisschen Blut genügten und das Ritual auch weiterhin gut verlaufen würde.
Milton, der ein Häufchen meiner Haare in einer Falte seines Gewandes gesammelt hatte, entfernte sich in Richtung des Stöhnens in die Dunkelheit. Einen Moment lang wurde die Geräuschkulisse etwas leiser, doch dann schwoll das Stöhnen zu einem kreischenden Heulen an. Ich löste den Griff um meine Knie etwas und fing beinahe an zu weinen, als ich es hörte, denn damit war der erste Schritt des Rituals erfolgreich absolviert: Es bedeutete, dass mein Opfer akzeptiert worden war.
Auch wenn es zu dunkel war, um etwas erkennen zu können, wusste ich, dass Milton an den Zaun getreten war, hinter dem sich die Toten unserer Gemeinde befanden, damit sie uns nicht wehtun und auch nicht von uns verletzt werden konnten. Passenderweise war dieser Bereich einst ein kleiner Friedhof gewesen, den ein hoher gusseiserner Zaun umgab. Der Zaun war mit zusätzlichen Stangen verstärkt worden, sodass auch die Kleineren unter den Toten nicht hindurchpassten. In der Nacht eines ersten Gelübdes warf Milton das Haar des Initiierten zu den Toten hinüber. Sobald sie mit etwas in Berührung kamen, das unmittelbar zuvor noch mit warmem, lebendigem Fleisch in Kontakt gewesen war, reagierten sie darauf für gewöhnlich wild und enthusiastisch, genau wie in jener Nacht. Wir würden wohl nie erfahren, ob diese Reaktion einfach Ausdruck ihres unbändigen, physischen Hungers auf unsere Körper war oder ob sie ein übrig gebliebenes Verlangen und die Erinnerung daran widerspiegelte, wie es sich anfühlte, in unserer Nähe zu sein und uns auf weniger animalische, zerstörerische Weise zu berühren. Letzteres schien angesichts der entsetzlichen Realität des Untodes eine zu sentimentale Annahme zu sein, während Ersteres zu kalt und zu nüchtern erschien, um es wirklich zu erfassen. Aber was es auch war, das sie antrieb, sie sehnten sich nach einer Verbindung mit uns, und die waren wir ihnen schuldig.
Als Milton zurückkehrte, reduzierte sich der Friedhofslärm wieder auf das stete, freundlichere Stöhnen. Nun begann der letzte Teil des Rituals. Mein Dad nahm mich an der Hand und wir gingen mit Milton zu der vorgesehenen Stelle am Rand des Lichtscheins, ein gutes Stück von den anderen entfernt.
Mit lauter Stimme fuhr Milton mit dem Text der Zeremonie fort: »Zoey, du stehst heute Abend aus freien Stücken und mit der uneingeschränkten Erlaubnis deiner Eltern vor uns?«
»Das tue ich«, erwiderte ich, und meine Mom und mein Dad stimmten gleichzeitig zu. Ich hielt den Kopf leicht geneigt, während mein Dad direkt neben mir stand, seine große Hand auf meiner rechten Schulter. Ich glaube nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte, wenn ich nach vorne geblickt hätte, da es im Wald bereits stockdunkel war, und der Pfad war so angelegt und abgemessen, dass wir, sofern wir die einzelnen Schritte im richtigen Moment der Zeremonie taten, am Ende genau dort stehen würden, wo wir stehen sollten.
»Gut, dann führe sie nach vorne, Jack.« Wir gingen zwei weitere Schritte, während Milton die nächste Passage aufsagte. »Zoey, du stehst an der Schwelle zum Erwachsensein. Du musst uns erklären, was dies für dich bedeutet und wie du deinen neuen Pfad beschreiten möchtest.«
Wir blieben stehen. Es war nicht leicht, meine Stimme laut und deutlich erklingen zu lassen – den Kopf gesenkt und nervös, wie ich war –, aber ich atmete tief ein und zwang die Worte aus mir heraus, obwohl sie sich damals für mich selbst furchtbar harsch anhörten. »Der Tod ist leicht, das Leben ist hart. Die Kindheit war leicht, aber nun wird das Leben härter werden. Ich gelobe, alles Kindische hinter mir zu lassen und stets dem schwierigen, richtigen und gerechten Pfad zu folgen, so wie es in den Gesetzen unserer Gemeinde geschrieben steht.«
»Du sprichst davon, was richtig ist, Zoey, aber es gibt viele Gesetze. Auf welchen beiden basieren alle anderen? Nenn mir das erste und wichtigste.« Zwei weitere Schritte.
»Die Lebenden zu beschützen.«
»Um die Lebenden zu beschützen, bedarf es einer ausführlichen Ausbildung und großer Hingabe. Jack Lawson, ist deine Tochter bereit für eine solche Verantwortung?« Zwei weitere Schritte, dann blieben wir wieder stehen.
Ich konnte an seiner Stimme hören, dass auch Dad nervös war, obwohl er dafür eigentlich nicht der Typ war. Milton machte ihn eben immer ein wenig unruhig, wenn auch auf gute Art
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