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Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Paffenroth
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uns, bevor das eigentliche Ritual begann. »Einst, als ich noch viel jünger war, in einer anderen Welt, dachten die Menschen, wenn sie an Rituale oder Religion dachten, meist auch an etwas, das wir Glaube oder Frömmigkeit nannten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir zu diesen Werten in unserer heutigen Welt allzu viel erzählen kann. Wir, die wir so vieles mit ansehen mussten, verspüren kein allzu großes Verlangen nach Dingen, die man nicht sehen kann. Es gibt nur sehr wenig, worauf wir vertrauen können – wenig, an dessen Unerschütterlichkeit und Zuverlässigkeit wir glauben können.«
    Er sah mich direkt an, und ich hatte das Gefühl, er könne all das sehen, worüber ich den Tag über nachgedacht hatte, als ich allein gewesen war. »Zoey, wenn irgendjemand unter uns Glauben in sich trägt, dann bist das wohl du. Jedenfalls denke ich das, wenn ich dich so ansehe. Und wenn du wirklich über dieses mysteriöse, kostbare Gut verfügst, dann können wir anderen dich nur voller Ehrfurcht betrachten und uns über deine wundervolle, unerkennbare Gabe freuen.« Danach wandte er sich wieder den anderen zu, aber die Erinnerung an seinen Blick und an die Stärke, die er mir verliehen hatte, hielt ich fest. »Ich kann jedoch sagen, dass wir heute Abend noch zwei weitere Werte feiern wollen, von denen ich weiß, dass wir alle sie mit Zoey teilen können – Hoffnung und Liebe. Für mich hat Zoey diese beiden stets verkörpert: Sie war mir ein Zeichen des Triumphes der Hoffnung und der Liebe über Verzweiflung und Boshaftigkeit. Zoey und Sarah, wenn ihr bereit seid, können wir beginnen.«
    Milton reichte meiner Mom einen Haarschneider – einen alten handbetriebenen, keinen elektrischen, der ja nicht mehr funktioniert hätte. Während er ihn überreichte, sprach er die ersten Worte der eigentlichen Zeremonie: »Die Hoffnung der Zukunft bedarf oft eines Opfers in der Gegenwart.«
    Ich spürte, wie das kalte Metall meine Kopfhaut berührte, während meine Mom fortfuhr: »Und für die Liebe zu anderen bedarf es stets eines Opfers unserer selbst.« Ich spürte ihre vorsichtigen Bewegungen, als sie begann, meinen Kopf zu rasieren. Ich starrte geradeaus, sämtliche Muskeln angespannt, zu angespannt. Auch das war, wie ich aus meinen Büchern wusste, ein Standardteil aller Initiationsriten: Der Anwärter wurde in irgendeiner Form körperlich verändert, sodass er sich vom Rest der Gruppe unterschied, sei es durch eigentümliche Kennzeichnungen oder Kleidung. Außerdem kam es nicht selten vor, dass geschlechtliche Unterscheidungen aufgehoben wurden, um den Kandidaten in einen Schwellenzustand außerhalb der normalen sozialen Konventionen zu versetzen.
    Auch hierbei war die eigentliche Erfahrung wieder um einiges lebhafter und intensiver als die Theorie. Mit jeder Bewegung des Haarschneiders und jedem Kitzeln, wenn meine Haare über meinen Nacken fielen, fühlte ich mich kälter, einsamer und verletzlicher. Und als ich das erste Zwicken spürte, gefolgt von der feuchten Wärme meines Blutes auf meinem Kopf, fühlte ich mich durch die ganze Angelegenheit ziemlich unbehaglich. Zur Ablenkung biss ich mir auf die Unterlippe und krallte meine Hände so fest um meine Knie, wie ich nur konnte. Ich wusste, dass das Ritual als besonders verheißungsvoll galt, wenn bei der Rasur entweder kein einziger Tropfen Blut oder aber jede Menge Blut floss. Daher geriet die Person, die die Rasur durchführte, nach dem ersten Schnitt besonders in Versuchung, weitere »Fehler« zu begehen. Ich wusste, dass meine Mom alles versuchen würde, um mir nicht wehzutun. Außerdem wusste ich, dass sowohl sie als auch mein Dad besonders pragmatisch und überhaupt nicht abergläubisch waren. Mir war allerdings ebenfalls bewusst – und, viel wichtiger: ich respektierte –, dass unsere Traditionen unser Handeln viel stärker bestimmen, als wir zugeben wollen. Als ich also den ersten versehentlichen Schnitt spürte, erwartete ich noch weitere, ja, ich sehnte mich sogar danach. Ich sollte nicht enttäuscht werden.
    Ich saß mit blutigem, kahlem Kopf da, während Milton und meine Mom so viele Haare von dem Stein und vom Boden ringsum aufsammelten, wie sie konnten. Aus rein objektiver, intellektueller Sicht war mir zwar klar, dass mir das vergossene Blut beim nächsten Teil der Zeremonie helfen sollte, aber in jenem Augenblick, als sich meine Finger in meine Knie krallten und ich versuchte, nicht zu zittern oder zu weinen, war das Einzige, was ich fühlte, die innige

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