Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)
»Holt ihn runter!« Wieder ertönte ein entsetzlicher Schrei.
Weder die Häftlinge noch ich hatten damit gerechnet, dass Popcorn sich eine Waffe basteln würde, obwohl es mir im Nachhinein unglaublich erschien, dass wir diese Möglichkeit außer Acht gelassen hatten. Seit es Gefängnisse gab, hatten die Insassen so gut wie alles in eine Waffe verwandelt, und für gewöhnlich hatten sie dafür ein weitaus geringeres Motiv gehabt als Popcorn. Wenn ein Mann sich wochenlang damit beschäftigen konnte, sich aus irgendetwas ein Messer zu basteln, um einen anderen wegen einer Schachtel Zigaretten zu töten, dann musste man eigentlich damit rechnen, dass sich jemand, der gegen Folter und Erniedrigung kämpfen musste, erst recht irgendeine scharfe, tödliche Waffe bastelte.
Mir wurde plötzlich klar, dass es, als er an diesem Morgen gestolpert war, nur ein Trick gewesen war, damit er auf dem Boden nach einer Glasscherbe suchen konnte, die groß genug für seine Zwecke war. Und soweit ich das anhand der Schreie beurteilen konnte, hatte er sie auch gefunden.
Ich sprang aus meiner Zelle und stürzte mich auf meinen Wachtposten. Es war derselbe Typ, gegen den ich schon die Nacht zuvor gekämpft hatte – ein hässlicher, kahlköpfiger, dicker kleiner Mistkerl. Er kam mit dem Stahlstück und einem langen, verrosteten Messer auf mich zu.
Wir fauchten beide, als wir gegeneinanderprallten. Ich packte seine Hände und wir rangen um die Waffen. Er versuchte erneut, mir in die Leistengegend zu treten, aber ich drehte mich ein Stück zur Seite, sodass mir nichts passierte; ich wollte ihm eine Kopfnuss verpassen, aber er wich zurück, sodass ich nur seine Nase streifte, was natürlich vollkommen wirkungslos war.
Adrenalin und unbändige Wut trieben mich weiter an, er war jedoch besser genährt und stärker als ich, und sein Schwerpunkt lag tiefer. Keiner von uns gewann die Oberhand.
Auf der Ebene über uns traten nun noch mehr Männer aus ihren Zellen, um uns zuzuschauen. Sollten einige von ihnen, wie in der Nacht zuvor, herunterkommen und den anderen helfen, wäre alles genauso schnell vorbei wie beim letzten Mal.
Aber während wir hin- und herrollten, torkelte Copperhead aus Tanyas Zelle – sie hatte sich auf seinem Rücken festgeklammert und kreischte wie eine rachsüchtige Furie. Ich konnte es nicht genau erkennen, aber sie schien etwas um seinen Hals geschlungen zu haben und ihn von hinten zu würgen. Ich glaube, es war ihr Schnürsenkel – noch etwas, was die Häftlinge in ihrer Faulheit und Dummheit übersehen hatten und ich in meiner Naivität nicht als potenzielle Waffe erkannt hatte.
Copperhead bekam sie nicht zu fassen, taumelte durch den Raum und suchte nach jemandem, der sie für ihn schlagen konnte – ohne Erfolg. Der Wärter vor ihrer Zelle, der den Baseballschläger mit den Nägeln trug, der Frank getötet hatte, konnte keinen gezielten Hieb landen und sich außerdem nicht entscheiden, ob er nicht doch lieber dem Typen helfen sollte, der gegen mich kämpfte.
Also warf sich Copperhead rückwärts gegen die Gitterstäbe der Zelle und quetschte Tanya mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Ich ging nicht davon aus, dass er Erfolg haben würde, so entschlossen, wie sie aussah. Außerdem hatte auf diese Art kein anderer die Chance, ihr einen Schlag zu versetzen.
Obwohl die Männer auf den oberen Etagen Copperheads missliche Lage sahen, eilten sie ihm nicht sofort über die Strickleitern zu Hilfe. Stattdessen erklangen dieselben Sprechchöre wie in der Nacht zuvor: »Töten! Töten! Töten!« Dieses Mal wurden sie jedoch von Donnerschlägen untermalt, die immer näher kamen und lauter und lauter wurden. Ganz offensichtlich fehlte es den Insassen nicht nur an Intelligenz und Arbeitsmoral, sondern auch an Loyalität. Das war allerdings wenig überraschend: Ein Ort, an dem Testosteron, halbgares rotes Fleisch, Missbrauch und Angst regierten, konnte nur arm an diesen Eigenschaften sein.
Wenn Copperhead am Ende als Sieger hervorging, konnten sie immer noch behaupten, ihn nur angefeuert zu haben. Es ergab also doppelten Sinn, nicht einzugreifen, sondern stattdessen einfach die Show zu genießen. Sie betrachteten die Tatsache, dass Copperhead um sein Leben kämpfte, schlicht als ungewöhnliches und daher höchst vergnügliches Unterhaltungsprogramm – fairerweise muss man ihnen zugute halten, dass er es ganz genauso betrachtet hätte, falls einer von ihnen in einer ähnlichen Situation gewesen wäre.
Dieser unerwartete
Weitere Kostenlose Bücher