Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)
tun.
Ich schlief, sehr unruhig, im Sitzen. Gegen Morgen hörte ich, wie eine der Wachen Tanya zuflüsterte: »Hey, Schlampe, geh rüber zu dem Jungen. Er braucht dich.« Ich sah sie hinübergehen und döste wieder ein.
Im Licht des frühen Morgens blickte ich erneut hinaus. Die Wachen hatten sich irgendwann in der Nacht im ganzen Raum verteilt, und ich konnte Tanya und Popcorn genau erkennen. Sie schliefen beide. Tanya saß aufrecht, wie ich gegen die Rückwand der Zelle gelehnt. Er lag auf der Seite, in ihrem Schoß, leicht in meine Richtung geneigt.
Als das Licht heller wurde, konnte ich sie noch deutlicher erkennen. Sie saßen mitten im Strahl der aufgehenden Morgensonne. Popcorn war in genauso schlechter Verfassung, wie ich angenommen hatte – von Kopf bis Fuß mit Verletzungen und Blut bedeckt, mit aufgeschnittenen, geschwollenen Lippen; auch ein Auge war zugeschwollen. Die geistigen und seelischen Wunden, die ich nicht sehen konnte, waren wahrscheinlich noch weitaus schlimmer. Vom Morgenlicht überflutet, lag sein misshandelter Körper nun anmutig und still da, Tanyas wunderschönes, liebevolles Gesicht zu ihm gebeugt, und beide waren vom Frieden des Schlafes und dem belebenden Glanz der Sonne durchströmt – sie hätten unmöglich noch mehr wie eine Pieta aussehen können, selbst wenn sie es absichtlich inszeniert hätten.
Nach einer Weile erwachte das Gefängnis gemeinsam mit den weltlicheren, ruchlosen Kreaturen, die in ihm hausten, zum Leben. Irgendwann wurden wir hinausgebracht, um uns die Beine zu vertreten und ein bisschen Licht und frische Luft zu tanken.
Während wir durch die zerstörten Überreste des Wachraums und des Eingangsbereichs kletterten, um nach draußen zu gelangen, stolperte Popcorn über den Türrahmen und fiel zur Seite, auf den Boden des Kontrollraums. Ich streckte meine Hand zu ihm hinunter, aber er schlug sie zur Seite. Er kroch ein Stück und hielt sich dabei mit der linken Hand die Seite. Seine rechte Hand lag nach vorne gestreckt, und er wischte damit über den Boden, bis sie wieder an seiner Seite lag, wobei er die ganze Zeit über Schmerzenslaute ausstieß.
Ich wurde so von Mitleid mit ihm erfasst, dass ich beinahe den Mut und die Kraft aufgebrachte hätte, diese Ungeheuer direkt an Ort und Stelle anzugreifen. Einer von ihnen provozierte mich tatsächlich fast dazu, als er kam, um nachzusehen, was los war – er sah aus, als wolle er Popcorn schlagen. Aber der Junge schaffte es endlich wieder auf die Beine, verbeugte sich unterwürfig vor dem Wärter, und wir gingen nach draußen.
Im Freien ging ich auf und ab; die beiden ehemaligen Gefängniswärter saßen etwas abseits, und Popcorn weigerte sich, jetzt, im hellen Licht des Tages und vor allen anderen, Tanyas Mitgefühl oder ihre Zärtlichkeiten zuzulassen. Sie saß für sich allein, und auch er zog sich in eine Ecke an der Mauer zurück und saß die ganze Zeit über mit dem Rücken zu uns.
Als wir wieder drinnen waren, setzte sich Popcorn mit dem Rücken zur Außenwelt auf den Boden seiner Zelle und blieb den Rest des Tages dort sitzen. Man konnte ihm kaum vorwerfen, dass er jegliche Form menschlicher Nähe zurückwies, wenn sogenannte Menschen ihn auf so entsetzliche Weise vollkommen gebrochen und entmenschlicht hatten – viel schlimmer, als die Untoten es je vermocht hätten. Halb verhungert und deprimiert, mit Schmerzen am ganzen Körper und einem zugeschwollenen Auge, konnte ich selbst den ganzen Tag über nichts weiter tun, als in meiner Zelle zu sitzen, immer wieder einzunicken und mein neues Lieblingsgebet von letzter Nacht zu wiederholen: »Oh, Herr, der du die Gerechten prüfst, lass mich deine Vergeltung an ihnen sehen.«
An diesem Abend, als draußen wieder Rehe über dem Feuer schmorten, schien es im Gefängnis früher dunkel zu werden, und in der Ferne war ein leises Donnergrollen zu hören. Ich grinste und stieß einen Grunzlaut aus – wie sonst sollte man seine Erheiterung angesichts dieser finsteren, tödlichen Ironie zum Ausdruck bringen? Ein plötzlicher, gewaltiger Sommersturm, wie er für diese Jahreszeit typisch war, schien mir perfekt zu dem zu passen, was, wie ich annahm, heute Nacht auf uns zukommen würde.
Während ich auf Popcorns geschundenen, geprügelten Rücken blickte, verfiel ich in mein eigenes Tausend-Yard-Starren. Und dieses Mal lag es nicht, wie so viele Male zuvor, daran, dass ich Mitleid für die Untoten empfand. Ich empfand vielmehr Wut und Abscheu gegenüber den Lebenden.
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