Dystopia
durchnässt und auf den Streben des Gitterwerks von ähnlich tückischer Wirkung wie eine Öllache.
Paige trat von der untersten Treppenstufe mitten auf das nasse Laub und merkte mit Schrecken, wie ihr Fuß nach vorne wegglitt.
Ihre Hände schossen reflexhaft nach unten, um ihren Sturz nach hinten zu bremsen, sonst hätte sie sich an den Metallstufen den Schädel eingeschlagen. Erst nach der unsanften Landung auf dem Hinterteil wurde ihr bewusst, was sie getan hatte.
«Paige?», sagte Bethany.
«Scheiße!», zischte sie und schaffte es gerade noch, ihre Stimme zu dämpfen und nicht zu schreien.
Sie warf sich nach vorn, fort von der Treppe und hinaus in die pechschwarze Finsternis des vierten Stockwerks, dem Geräusch von Metall hinterher, das über Metall rollte.
Der Zylinder.
Der mit einem Höllentempo von ihr wegrollte.
Auf den Rand der Etage zu.
Bei dem Trommeln handelte es sich um das Geräusch von Hubschrauberrotoren. Und das hohe, an- und abschwellende Geräusch war das Geheul von Polizeisirenen.
Noch immer auf einem Knie kauernd, schnellte Travis mit der Flinte im Anschlag zu der Geräuschquelle herum. Zu spät. Eine Hand packte im Dunkel den Lauf der Remington und riss ihn nach oben, und dann knallte ihm etwas anderes – ein Schalldämpfer vermutlich – gegen die Schläfe. Er kippte nach vorne um, landete mit dem Gesicht voran auf dem Gitter. Schaffte es mit Mühe und Not, nicht das Bewusstsein zu verlieren.
Paige kroch hektisch auf Händen und Knien vorwärts – zum Aufstehen blieb keine Zeit. Sehen konnte sie nicht das Geringste. Sie nahm nur das Gitter unter ihr wahr und das rollende Geräusch, irgendwo in der schwarzen Finsternis vor ihr.
Sie folgte ihm blindlings.
Und holte auf.
Nur darauf kam es an.
Jetzt klang es schon ganz nah – weiter als einen halben Meter konnte es nicht mehr entfernt sein.
Und dann hörte das Geräusch unvermittelt auf. Als hätte jemand die Nadel von einer Schallplatte genommen.
Paige begriff, und sogleich stieg Panik in ihr auf. Mit den Händen suchte sie Halt, egal, wo, um ihren Vorwärtsdrall zu bremsen.
Ihre vordere Hand griff ins Leere – tauchte hinab in das Nichts jenseits der Außenkante des Gebäudes, vier Etagen über dem Erdboden.
Ihr stockte der Atem, und den Bruchteil einer Sekunde lang nahm sie nichts wahr als den Schwung ihres Körpers, der sie scheinbar unaufhaltsam auf den Abgrund zu beförderte.
Endlich bekam ihre hintere Hand einen Stab des Gitters zu fassen, sie klammerte sich daran fest und hielt so abrupt in ihrer Bewegung inne, dass sie sich um ein Haar die Schulter ausgekugelt hätte. Ihre Beine gerieten ins Rutschen und glitten auf dem nassen Metall nach vorne.
Und dann war ihre Vorwärtsbewegung endlich gestoppt. Mit einer Hand an den Stab geklammert, lag sie seitlich ausgestreckt an der Gebäudekante. Konnte den Außenrand des Stahlträgers spüren, der sich fest gegen ihre Brust drückte.
Im nächsten Augenblick explodierte der Zylinder, fünfzehn Meter unter ihr.
Plötzlich aufflammendes blauweißes Licht. Wie ein kollabierender Stern. Blendend hell, schmerzhaft für ihre inzwischen an das Dunkel gewöhnten Augen. Es tauchte das Gehölz von Kiefern und anderen Bäumen am Fuß des Gebäudes und die geborstenen Gehwegplatten der Central Park West Avenue, unten am freiliegenden Wurzelwerk der Bäume, in gleißende Helligkeit. Sie sah, wie das Gehäuse des Zylinders zersprang. Sah, wie sein technisches Innenleben auf dem regennassen Asphalt zerschellte, sah zerbrechliche Bauteile außerirdischer Herkunft, die in alle Richtungen flogen. Aus einigen Komponenten flackerten und zischten fremdartige, kugelrunde Lichterscheinungen. In den größeren Lichtkugeln sah Paige die Straße, wie sie in der Gegenwart aussah, in einer Art Fischaugenoptik komprimiert. Verzerrte, verzogene Streifenwagen mit flackernden Blaulichtern. Die intakte Fassade des Gebäudes, mit Dutzenden Fenstern, hinter denen Licht brannte. Nach weniger als einer Sekunde verschwanden diese Bilder wieder, und unten im Dunkel waren nur noch die Bruchstücke des Zylindergehäuses zu sehen, deren konkave Innenflächen tief blau leuchteten, schillernd im Regen. Und dann erlosch auch dieses Leuchten.
Travis sah es. Sah den Lichtschein, der dreißig Stockwerke unter ihm aufleuchtete, während er mit auf das Gitter gedrücktem Gesicht dalag, und verstand. Es war das Letzte, was er sah, ehe er einen Stiefeltritt gegen den Kopf erhielt und endgültig das
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