Dystopia

Engagement vollständig beendet. Wenigstens dem Anschein nach.»
    «All das widerspricht aber nicht der Theorie, auf die wir uns geeinigt haben», wandte Garner ein. «Dass Finn und seine Frau den gezielten Einsatz von Niederfrequenzwellen zur Befriedung von Krisengebieten angeregt haben – zumindest bis zum Eintreffen von Friedenstruppen, die die Lage vor Ort dann mit anderen Mitteln stabilisieren. Und dass Finn weiterhin darauf hinarbeitet, dieses Ziel zu verwirklichen. Das ist allerdings ein unkonventioneller Ansatz, da bin ich ganz Ihrer Meinung.»
    «Richtig», sagte Travis, «aber ich glaube, das Ziel, das er tatsächlich verfolgt, und das schon seit langer Zeit, ist noch wesentlich abgedrehter. Und er verfolgt dieses Vorhaben nicht allein. Sie arbeiten noch immer gemeinsam daran.»
    «Sie?»
    Travis nickte. «Audras Tod war nur vorgetäuscht. Ich habe gehört, wie Finn vor seinem Flug eine Nachricht auf ihre Mailbox gesprochen hat.»
    Zum ersten Mal war Garner sichtlich sprachlos. Und schien eher bereit, der These Gehör zu schenken, auf die Travis am Ende hinauswollte.
    «Wie Sie selbst schon sagten, Sir, kommt die Theorie einer Fehlfunktion der Satelliten nicht in Betracht. Wir würden sie entweder abschalten oder abschießen. Dass sie außer Kontrolle geraten und den Menschen einen ganzen Monat lang Schaden zufügen könnten, ist ausgeschlossen.»
    «Gut», sagte Garner. «Wie also lautet Ihre Theorie dazu, was schiefgegangen ist?»
    «Nichts geht schief», erwiderte Travis. «Wir haben von Anfang an den falschen Ansatz verfolgt. Haben nach einem Fehler gesucht, der gar nicht existiert.»
    «Ich kann Ihnen nicht ganz folgen», sagte Garner.
    Travis sah ihn an. «Als Finn gestern in seinem Büro den Zylinder angeschaltet hat, stand ich auf der anderen Seite der projizierten Öffnung. Knapp daneben, sodass er mich nicht sehen konnte, aber dicht genug für mich, um ihn reden zu hören. Er ist an die Iris getreten, hat auf die Ruinen von Washington hinabgeschaut und dann gemurmelt: ‹Mein Gott, es funktioniert.›»
    «Womit er den Zylinder gemeint hat», sagte Garner.
    «Das habe ich auch gedacht. Aber das war ein Irrtum. Schon sein Tonfall hätte mich wohl stutzig machen sollen. Er klang nicht bloß überrascht. Eher ehrfürchtig. Stolz sogar. Wie sich vielleicht der erste Pilot Orville Wright äußern würde, wenn man mit ihm an einem Nachmittag, an dem viel Betrieb herrscht, zum Flughafen La Guardia rausfahren würde.»
    Travis wandte den Blick wieder von Garner ab und sah zu den sanft blinkenden Lichtern der Vorstadt hinüber, auf die sie gerade zufuhren.
    «Der Zusammenbruch der Welt ist nicht auf ein Versagen von Finns Plan zurückzuführen», sagte er. «Nein: Das
ist
sein Plan. Genau diesen Zusammenbruch will er herbeiführen.»

42
    Garner versank in längeres Schweigen.
    «Ich will nicht behaupten, dass ich seine Beweggründe verstehe», sagte Travis. «Oder überhaupt die Beweggründe von Leuten, die in Krisenregionen reisen und versuchen, den Menschen vor Ort zu helfen. Das ist für jemanden wie mich ein Rätsel und wird es auch immer bleiben. Ich kann mir aber vorstellen, dass alle, die sich auf diesem Gebiet engagieren, früher oder später zu der Erkenntnis gelangen, wie groß die Probleme und Missstände auf der Welt tatsächlich sind und wie begrenzt ihre Fähigkeiten, daran grundlegend etwas zu ändern. Und ich möchte wetten, dass diese Erkenntnis für den Betreffenden etwas Niederschmetterndes hat. Bei Finn dürfte sich diese Einsicht, wenn ich mit meinen übrigen Vermutungen richtig liege, absolut verheerend ausgewirkt haben. Ruanda war da vermutlich bloß der letzte Tropfen, der das Ganze zum Überlaufen gebracht und ihn jeder Hoffnung beraubt hat. Ich glaube, die Erfahrung dort hat ihn derart ernüchtert, dass er angefangen hat, an der Menschheit insgesamt zu zweifeln. Dabei ist ihm möglicherweise der Gedanke gekommen, es wäre am besten, die Welt komplett untergehen zu lassen und ganz von vorne anzufangen. Sicher, er wird nicht der Erste sein, dem dieser Gedanke in einer dunklen Stunde mal durch den Kopf gespukt ist, aber in der Hinsicht hatte Finn allen anderen etwas voraus: Er teilte nachts das Bett mit der einzigen Person auf Erden, die so etwas wirklich in die Tat umsetzen konnte.»
    Etwas veränderte sich in Garners Miene, während er sich Travis’ Ausführungen durch den Kopf gehen ließ.
    «Oh mein Gott …», sagte Garner.
    «Finn ist nicht dumm», sagte Travis. «Und