Dystopia
der durch die Landstraße in zwei Hälften geteilt wurde. Weit voraus konnte Travis bereits eine Überführung erkennen, wo die I-495 die Straße querte.
«Und wie genau würde Finn diejenigen auswählen, die nach seinem Willen am Leben bleiben sollen?», fragte Garner. «Soll das vor Ort geschehen, in Yuma, während dort nach und nach immer mehr Leute eintreffen?»
Travis schüttelte den Kopf. «Diese Auswahl könnte er schon Jahre im Voraus getroffen haben. Anders ginge das vermutlich gar nicht. Weil er für sein Vorhaben ja auf jeden Fall auch Leute mit einem gewissen Fachwissen benötigen würde. Wissenschaftler, Ingenieure, Kaufleute, Mediziner. Alle Übrigen könnten über das Verfahren der psychologischen Begutachtung ausgewählt werden, das über Jahre hinweg auf Menschen angewendet werden könnte, ohne dass die Betreffenden das überhaupt merken. Finns Patentrezept zur Auswahl guter Nachbarn. Dieser Prozess dürfte inzwischen wohl schon abgeschlossen sein.»
Garner ließ sich das Szenario mit nachdenklicher Miene durch den Kopf gehen. Travis hatte den Eindruck, dass er es nachvollziehbar fand, es aber noch immer nicht glauben mochte.
«Wenn diese Leute dann schließlich da unten in Chile sind», sagte Garner, «in Arica. Wie viele auch immer, ob nun zehntausend, fünfzigtausend … sie würden doch so vieles benötigen, um dort autark überleben zu können. Die bereits existierende Wasserversorgung der Stadt, wie immer sie auch funktionieren mag, könnte sicher weiter aufrechterhalten werden. Ebenso die Bewässerung und Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Aber wie sieht es mit der Stromversorgung aus? Mit den ganzen industriell produzierten Sachen, die wir als selbstverständlich empfinden? Dinge des täglichen Gebrauchs, die mit der Zeit kaputtgehen. Meinetwegen auch nur Kleidung.»
«Man könnte Solarenergie nutzen», sagte Travis. «Arica bietet dafür geradezu ideale Bedingungen. Und dazu könnten Sonnenkollektoren aus aller Welt herbeigeschafft werden.
Alles
auf der Welt stünde zur freien Verfügung und könnte herbeigeschafft werden, zumindest, solange es noch nicht dem Verfall zum Opfer gefallen ist. In Städten wie Las Vegas und Los Angeles würden sich nützliche Gerätschaften und Materialien lange Zeit erhalten. Bei Bedarf könnte man noch jahrzehntelang Flüge dorthin schicken, um Material zu beschaffen. Aber ich glaube nicht, dass das nötig wäre.»
«Wieso nicht?»
«Weil das der Zweck Yumas als zentraler Versammlungsort ist. Überlegen Sie doch mal. Diese unzähligen Autos, vollgepackt mit all den Bedarfsartikeln, die Leute auf eine solche Reise mitnehmen würden. Kleidung, Geschirr, fallweise wohl auch Computer und andere Elektronikgeräte. Alles fein säuberlich an einem Ort gelagert, dessen Klima sicherstellt, dass die Sachen ewig halten. Nach der Besiedlung Aricas könnten jahrelang Flugzeuge nach Yuma kommen, um die Sachen methodisch einzusammeln und nach Chile zu bringen, wo sie dann in der Atacamawüste gelagert werden. Das alles würde vermutlich reichen, um den Bedarf einer überschaubaren Population für tausend Jahre zu decken.»
Travis behielt Garner aufmerksam im Auge. Es fiel ihm sichtlich schwer, das Gehörte zu akzeptieren. Er schloss die Augen, rieb sich über die Lider. Stieß laut die Luft aus.
«Welchem Zweck sollte Yuma sonst dienen?», sagte Travis. «Was könnte es sonst für eine Erklärung geben?»
Garner schlug die Augen wieder auf. Starrte hinaus auf die von Dutzenden Häusern gesäumten Querstraßen, an denen sie vorbeifuhren.
«Wie kann jemand zu so etwas Teuflischem imstande sein?», sagte Garner. «All diese Menschenleben. Wie könnte irgendjemand einen solchen Plan fassen?»
«Kommt Ihnen das wirklich so unglaubhaft vor?», entgegnete Travis. «Das Grundkonzept ist schließlich ein fester Bestandteil unserer Kultur. Kleinen Kindern wird in der Sonntagsschule eine ganz ähnliche Geschichte erzählt, und in dieser Geschichte ist es nicht direkt der Bösewicht, der die Menschheit dezimiert.»
«Herrgott», sagte Garner. «Das ist doch eine biblische Erzählung, die nicht wortwörtlich zu verstehen ist.»
«Nein, aber man könnte sich schon fragen, warum sich gerade diese Erzählung solcher Beliebtheit erfreut. Meinen Sie nicht, dass sie auf viele Menschen einfach eine Art Reiz ausübt? Sehen Sie sich doch um, auf der Welt liegt so vieles im Argen. Die eine Gruppe von Leuten hasst eine andere Gruppe, wegen irgendwelcher
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