Dystopia
aber keiner hätte eine Erklärung dafür. Etwas so Merkwürdiges dürfte noch niemand je erlebt haben. Natürlich würden die Nachrichten darüber berichten, aber in welcher Form? Was sollten die Journalisten genau sagen? Wie, zum Teufel, sollte jeder einzelne Betroffene darauf reagieren, außer sich die Frage zu stellen, was genau mit ihm vor sich ging und ob es dagegen irgendeine Abhilfe gab?»
Garner schien bei der Vorstellung zu frösteln. Sein Blick war in weite Ferne gerichtet, als würde er sich selbst an einem solchen Tag vor sich sehen, dessen Auswirkungen ganze Städte zum Stillstand bringen würden.
«Stellen Sie sich vor, dass es am Tag darauf schlimmer wird», fuhr Travis fort. «Und auch am übernächsten Tag. Bis man kurz davor ist, einfach Schluss zu machen. Es interessiert einen nicht mal mehr, wodurch diese gedrückte Stimmung ausgelöst wird. Das interessiert niemanden mehr. Es geht nur noch darum, wie übel es sich anfühlt. Die Zeitungen nennen es den
Trüben Dezember
. Mehr haben sie nicht. Einen Namen. Noch immer keine konkreten Informationen. Eines Tages dann, es geht einem noch ein bisschen schlechter und man denkt gerade darüber nach, wie genau man seinem Leben ein Ende setzen soll, ruft einen ein Freund an und fragt, ob man gerade die Nachrichten verfolgt. Man schaltet den Fernseher an, und da ist es. Der eine, einzige Ort, an dem diese rätselhafte Wirkung einfach nicht zu spüren ist. Yuma, Arizona. Woran das liegt, weiß natürlich keiner. Und es interessiert auch niemanden. Weil es nur darauf ankommt, dass es der Wahrheit entspricht. Man sieht es sogar, auf den Hintergrundbildern, von denen die Meldung begleitet wird. Man sieht Menschen, die bereits aus anderen Orten dort eintreffen, und ihre Körpersprache verrät, dass sie nicht länger traurig sind. Besser noch, sie sind sogar regelrecht in Hochstimmung.»
Im schummrigen Innenraum des Autos war Garners Gesicht nicht genau zu erkennen, aber Travis hatte den Eindruck, dass er blass geworden war.
«Denken Sie nun an den Plan zurück, den Finn zur Anwendung in Krisengebieten ausgearbeitet hatte», sagte Travis. «Alle werden psychologisch begutachtet. Die Bösen werden aussortiert, die Guten zurückbehalten. Leute mit den richtigen Attributen zur Schaffung einer friedlichen Gesellschaft. Auch nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass die gesamte Welt das Problem war, wird er wohl diese Idee noch immer für die Lösung gehalten haben. Bloß in viel größerem Maßstab. Einem globalen Maßstab.»
Garner senkte den Blick auf das Display seines Handys. Er zoomte auf die Kartendarstellung des Nordens von Chile zurück und rückte das Bild herum, bis auf dem Ausschnitt sowohl Chile wie auch die Vereinigten Staaten zu sehen waren. Mit der Fingerspitze malte er imaginäre Routen auf die Karte, die aus ganz Amerika nach Yuma führten. Und dann noch eine Verbindung: von Yuma nach Arica.
«Sie stellen also die These auf, dass er die gesamte Weltbevölkerung ausrotten will», sagte Garner, «bis auf ein paar zehntausend Menschen, die er als eine Art Stammpopulation benutzen will, um in Arica mit ihnen noch einmal ganz von vorne anzufangen?»
Travis nickte. «Auf irgendwelche Spekulationen können wir dabei getrost verzichten; was wir bereits wissen, reicht vollauf. Wir wissen, dass man mit Niederfrequenzwellen große Massen von Menschen nach Belieben dirigieren kann, in jede gewünschte Richtung. Man könnte eine Stadt wie Arica komplett räumen. Könnte die Einwohner zu ihrer eigenen Version von Yuma locken, die Küste hinauf oder hinunter. Sobald sie am Zielort ankommen, könnte man sie töten. Indem man das Signal derart verstärkt, dass die Depressionen am Ende nicht mehr auszuhalten sind. Auf diese Weise könnte man auch die restliche Weltbevölkerung außerhalb der Vereinigten Staaten ausrotten. Und was sich in den USA abspielt, haben wir mit eigenen Augen gesehen. Sämtliche Einwohner machen sich auf den Weg nach Yuma, die Autos vollgepackt mit allem, was sie so zu benötigen glauben, Hausrat, Kleidung und so weiter. Ihnen ist zwar schon etwas von Flügen zu Ohren gekommen, die von dort aus abgehen sollen, und sie wären auch ganz froh, selbst einen Platz in einem der Flugzeuge zu ergattern, aber hauptsächlich steht für alle der Wunsch im Vordergrund, überhaupt erst einmal nach Yuma zu kommen. Weil ihre Qualen dort endlich ein Ende finden.»
Längeres Schweigen breitete sich aus. Mittlerweile hatten sie den Vorort erreicht,
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