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Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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hatte ihn fest auf ihn gerichtet.
    «Nehmen Sie die Waffe runter», sagte Finn. «Und dann drehen Sie sich um und knien sich hin.»
    Travis stieß beinahe belustigt die Luft aus. «Warum sollte ich das tun? Wenn Sie mich erschießen wollen, dann tun Sie’s doch einfach.»
    Finn kam nicht näher. Er atmete tief durch. Der Revolver in seiner Hand zitterte jetzt nicht mehr.
    «Ich hoffe, Sie spüren nichts», sagte Finn, und Travis sah, wie sich sein Unterarm anspannte, ehe er abdrückte.
    Dann zerplatzte auf einmal Finns Kopf. Barst nach beiden Seiten hin, als wäre im Inneren eine Hohlladung explodiert. Einen Sekundenbruchteil später hallte der trockene Knall eines Präzisionsgewehrs über den Platz, und Travis zuckte unwillkürlich zusammen und drehte sich zu dem Geräusch um.
    Hinter einem Blumenkübel dreißig Meter weiter richtete sich eine Gestalt ganz in Weiß auf, die dort auf der Lauer gelegen hatte.
    Aus dem Augenwinkel bekam Travis mit, wie Finn zu Boden sackte. Mit einem leisen Klicken glitt ihm der Revolver aus der Hand, ohne loszugehen. Der Zylinder wiederum rollte ihm aus der anderen Hand und blieb auf seinem Bauch liegen, fast wie aus einem letzten körperlichen Reflex heraus, das Ding vor Schaden zu bewahren.
    Travis ließ die MP fallen und hob langsam die Arme, während er zu dem Gewehrschützen hinübersah.
    Der Neuankömmling hielt das Gewehr im Anschlag, ohne jedoch damit zu zielen, und verharrte kurz reglos, wie um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Das Gesicht der Gestalt war nicht zu erkennen, denn zu der weißen Kluft, in die sie von Kopf bis Fuß eingehüllt war, gehörte auch eine lockere Kapuze mit einer Art Netzschirm davor. Der Aufzug wirkte luftig und darauf hinkonzipiert, das Sonnenlicht abzuweisen. In der Gegend hier vermutlich ein Muss.
    Die Gestalt starrte noch einen Moment lang herüber, hängte sich dann das Gewehr um die Schulter und trat hinter dem Betonkübel hervor. Kam lässig und ohne sonderliche Eile über den Platz auf Travis zugeschritten.
    Travis blickte dem Unbekannten reglos entgegen. Er fühlte sich so betäubt, dass er nicht einmal Angst hatte.
    Die Gestalt kam näher. War noch zwanzig Meter entfernt. Noch zehn. Blieb dann gut einen Meter vor ihm stehen und starrte ihn an. Hinter dem Netzgewebe, auf das gleißend hell das Sonnenlicht fiel, ließ sich das Gesicht des Unbekannten ungefähr erahnen. Gleich darauf aber wandte Travis schon den Blick ab, weil etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte: eine kleine, leuchtend rote Scheibe auf dem Handrücken des Neuankömmlings, die unter dem Rand des Ärmels hervorlugte. Sie war etwa so groß wie ein Vierteldollar und haftete irgendwie an der Haut fest. Travis schaute genauer hin und sah seine Vermutungen bestätigt: Die Scheibe war mit einem Gespinst winziger, rankenähnlicher Auswüchse mit der Hand verbunden.
    Er hob den Blick. Sah wieder das Gesicht hinter dem Netz an und erkannte es, noch ehe die Gestalt gleich darauf die Kapuze zurückschob.
    Die Augen sahen noch genauso aus, wie sie ihm vertraut waren – sehr groß, braun, ernst –, das übrige Gesicht aber war gealtert. Schien ungefähr zwischen fünfzig und sechzig Jahren alt zu sein.
    «Travis», sagte die Gestalt.
    Travis schluckte und fand dann seine Stimme wieder. «Paige.»

45
    Fünf Sekunden lang standen sie einfach nur schweigend da. Travis hörte das ferne Rauschen der Meeresbrandung, das leise in den Häuserschluchten der verlassenen Stadt widerhallte.
    Dann ließ sich eine Stimme über Funk vernehmen, irgendwo an Paiges Körper, ohne dass zu verstehen war, was sie sagte. Sie griff in ihr Gewand und holte das Funkgerät heraus, das sie offenbar an der Hüfte getragen hatte.
    Sie drückte auf die Sprechtaste. «Wiederhol das noch mal. Das habe ich nicht verstanden.»
    Ein Mann antwortete, von heftigem Rauschen überlagert. «Ich habe gefragt, worauf du geschossen hast.»
    «Das erkläre ich dir später», sagte Paige. «Mir ist nichts passiert.»
    «Hast du herausgefunden, wo der Rauch herstammt?»
    «Nicht direkt. Ich melde mich später wieder.»
    «Sei vorsichtig.»
    Der Mann beendete den Funkkontakt, und Paige steckte das Gerät wieder ein. Inzwischen war Travis klar geworden, dass er die Stimme erkannt hatte, trotz des heftigen Rauschens. Ihr Rhythmus, ihr Tonfall waren ihm mehr als vertraut gewesen. Einen kurzen Moment lang bekam er weiche Knie.
    Paige trat auf ihn zu, hob die Hand und berührte ihn sanft am Gesicht. Fuhr mit

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