Dystopia
vermutlich in Kauf genommen. Aber es ging nicht nur um ihn, das war der Punkt.
«Die beiden Frauen, die ich in New York bei mir hatte», sagte Travis. «Sie sind noch dort. Sitzen zwischen den Ruinen fest.» Er deutete mit den Augen auf den Zylinder. «Den benötige ich, um sie zurückzuholen. Ohne dieses Ding gehe ich hier nicht fort.»
Finn hielt unverändert den Revolver auf ihn gerichtet. Seine Hand zitterte nicht. «Kommt nicht in Frage. Wenn Sie den in Ihren Besitz bringen, kann Garner meinen Plan noch durchkreuzen.»
«Zu spät. Garner veranlasst bereits alles Nötige. Er weiß, was es mit Longbow auf sich hat. Er weiß, dass Sie dabei sind, die Satelliten zu aktivieren. Er telefoniert jetzt im Moment und gibt Anordnung, Razzien in sämtlichen Liegenschaften des Unternehmens durchzuführen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihnen dabei auch Audra ins Netz gehen wird.»
Finn war sichtlich bestürzt über das, was er da hörte. Statt jedoch überrascht zu sein, signalisierte seine Miene eher so etwas wie widerstrebendes Einverständnis, wie Travis mit Befremden auffiel.
«Ihnen hätte klar sein müssen, dass das Spiel aus ist», sagte Travis. «Seit Paige Garner gestern Abend geohrfeigt hat, waren Ihre Chancen, die Sache durchzuziehen, gleich null.»
Finn schüttelte den Kopf. Er hob den Zylinder mit der freien Hand auf und wich einen halben Meter zurück, wobei er sich gleichzeitig zu voller Größe aufrichtete. Den Revolver hielt er dabei ständig auf Travis gerichtet.
Travis richtete sich ebenfalls auf. Der Rauch hatte sich mittlerweile so weit aufgelöst, dass er im Nacken schon das heiße Brennen der Sonne spüren konnte. Die Sicht hatte sich erheblich gebessert; es hing nur noch eine Art dünner Nebel in der Luft, der aber überall von hellem Licht durchzogen war. Trotzdem konnte Travis auf der gepflasterten Fläche mit den Blumenkübeln nicht weiter als vielleicht zehn, zwölf Meter sehen; es schien sich um eine Art öffentlichen Platz zu handeln, genau dort, wo sich in der Gegenwart der Flughafen befunden hatte.
Finns Augen verengten sich. Ihr Blick war zwar weiter auf Travis gerichtet, aber sie huschten unmerklich hin und her, als ginge Finn eine Liste von Optionen durch. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, seinen Plan doch noch zu retten. Er wich noch einen Schritt zurück. War jetzt etwa drei Meter entfernt. Wodurch sich für Travis das Risiko erheblich verminderte, durch einen reflexhaft abgegebenen Schuss getroffen zu werden. Er hielt seine MP weiter im Anschlag, mit Finns Kopf im Fadenkreuz.
«Tut mir leid, das mit Ihren Freundinnen», sagte Finn. «Wirklich. Aber ich kann Ihnen das Ding nicht einfach so überlassen.»
Wieder wich er einen Schritt zurück. Vielleicht in der Hoffnung, davonlaufen und Travis abschütteln zu können, um dann an irgendeiner anderen Stelle in Arica in die Gegenwart zurückzukehren. Wo er dann Audra anrufen könnte, um sie zu warnen.
Zum Abfeuern der MP 7 musste auf den Abzug ein Druck von vier Unzen ausgeübt werden. Travis’ Finger war bei zwei.
Finn wich abermals zurück.
Und dann drehte der Wind.
Aus welcher Richtung er bisher auch geweht haben mochte, zwischen den Kübeln auf dem Platz jedenfalls war er im Kreis umhergewirbelt. Jetzt kam er auf einmal aus der Richtung hinter Travis, schien doppelt so stark wie zuvor, und binnen fünf Sekunden hatte sich der dünne Rauchschleier, der noch in der Luft hing, restlos verzogen.
Finn verschlug es hörbar den Atem.
Travis merkte, wie er selbst unwillkürlich die Augen aufriss.
Es war, als würden sie mitten in Manhattan stehen. Das Arica, das sie in der Gegenwart gesehen hatten, war spurlos verschwunden, und an seiner Stelle erhob sich eine Skyline schimmernder Hochhäuser aus Glas, Stahl und Beton, manche davon an die siebzig Stockwerke hoch oder noch höher. Zwischen den Gebäuden verliefen breite, sich kreuzende Straßen mit Ampelanlagen und strahlend weißen Markierungen. Auch eine Haupteinkaufsstraße konnte Travis ganz in der Nähe sehen, die sich über eine Meile weit an der Küste entlangzog und durchgehend von ähnlich hohen, eindrucksvollen Bauten gesäumt wurde.
Die Stadt befand sich in tadellosem Zustand. Die Glasfassaden der Wolkenkratzer muteten an, als wären sie erst am Vortag geputzt worden. Die Gehsteige waren blitzsauber. Autos standen geparkt an den Straßenrändern, hauptsächlich Modelle Baujahr 2011 oder nur unwesentlich älter, soweit Travis es beurteilen konnte. Rings um den
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