Dystopia
die finstere Öffnung, während ihr vermutlich gerade ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen wie ihm.
Sie wandte sich ihm zu. «Erinnern Sie sich an das Ende von Paiges Anruf? Sie hat etwas gesagt wie: ‹Du kannst hindurchgehen und zurückkommen.› Förmlich geschrien hat sie das.»
Travis nickte.
Der aus der Öffnung dringende Wind änderte leicht die Richtung, Travis spürte es an den Ärmeln seines T-Shirts. Auch den Geruch des Ortes auf der anderen Seite konnte er nun wahrnehmen, mehrere Gerüche sogar. Intensive Naturgerüche: nach Kiefernnadeln, totem Laub, reifen Äpfeln, scharf und frisch herangetragen von einem Wind, der an die zehn Grad kühler sein mochte als die klimatisierte Luft in der Hotelsuite. Die andere Seite der Öffnung fühlte sich an und roch wie eine Herbstnacht auf dem Land.
«An welchem Ort der Erde herrscht gerade ein Klima wie im Herbst im Norden der USA ?», fragte Travis.
Nach kurzem Nachdenken zuckte Bethany die Achseln. «Im Westen Kanadas eventuell, an der Küste, ein paar hundert Meilen nördlich von Seattle. Ich habe wirklich keine Ahnung. Fest steht jedenfalls, dass es dort jetzt noch dunkel sein dürfte.»
Travis sog mit einem neuen Atemzug tief die Luft ein, die von dem kühlen Wind hereingetragen wurde.
«Das ergibt keinen Sinn», sagte er. «Selbst wenn diese Öffnung hier tatsächlich zu einem Ort führt, der Tausende Meilen weit weg ist – so beeindruckend das auch wäre –, was könnten Paige und die anderen von diesem Ding erfahren haben? Was könnte sonst wer davon erfahren, was er nicht auch erfahren kann, indem er schlicht per Flugzeug zu diesem Ort reist?»
«Es muss mehr dahinterstecken, als wir bis jetzt vermuten», sagte Bethany.
Was das war, würden sie kaum herausfinden, wenn sie einfach nur herumstanden.
Travis drehte sich um und ließ suchend den Blick durchs Zimmer schweifen. Auf einem Couchtisch in der Nähe lag die in Leder gebundene Karte für den Zimmerservice. Er holte die Karte und kehrte an seinen alten Standort neben der Öffnung zurück.
Er hielt eine Hälfte der Karte in den Lichtkegel und verdeckte auf diese Weise einen Teil des Lichts, ein Drittel oder sogar mehr, sodass dieses Licht die schwarze Öffnung nicht mehr erreichen konnte.
Auf die Öffnung aber hatte das keinen Einfluss.
Etwas so Unwirkliches hatte Travis vielleicht noch nie zuvor gesehen. Es war, als würde man seine Hand in den Lichtstrahl eines Filmprojektors stecken und die Umrisse der eigenen Finger deutlich im Lichtkegel sehen – aber keinerlei Schatten auf der Filmleinwand.
«Klar, logisch», sagte Bethany. «Es musste so konstruiert werden, dass das Loch auch dann offen bleibt, wenn der Lichtstrahl teilweise verdeckt ist. Weil man ja beim Hineinsteigen zwangsläufig den Lichtstrahl mit dem eigenen Körper blockiert.»
Travis fragte sich, wie viel von dem Lichtstrahl wohl verdeckt werden konnte, ehe die Öffnung verschwand. Er bewegte die Karte im Lichtkegel langsam in Richtung Sofa. Auf die Linse in dem Zylinder und damit auf den schmaleren Teil des Lichtstrahls zu.
Währenddessen behielt er die Öffnung im Auge. Sah zu, wie das Rechteck des verdeckten Lichts immer größer wurde, bis es erst die Hälfte und dann drei Viertel des Lichtstrahls ausmachte. Die Öffnung blieb vollkommen unbeeinträchtigt. Flackerte nicht einmal.
So blieb es, bis nur noch ein dünner Streifen blaues Licht das Loch erreichte. Fünf Prozent der Gesamtmenge vielleicht. Als Travis das Licht noch weiter verdeckte, verschwand die Öffnung. Gleichzeitig leuchteten in dem Licht, das jetzt auf die ledergebundene Karte fiel, Symbole auf, offenbar aus derselben Schrift wie die Symbole, die in die Bedienungsknöpfe gekerbt waren. Vielleicht stand dort gerade: BLOCKADEFEHLER . Oder auch: HÖR AUF , DAS LICHT ZU BLOCKIEREN , DU ARMLEUCHTER . Travis zog die Karte zurück, und sofort war die Öffnung wieder da.
Er legte die Handfläche auf die Karte. Sie fühlte sich ebenso kühl an wie zuvor. Dann hielt er sie sich dicht vor die Augen, kippte sie so, dass das Sonnenlicht direkt auf die Oberfläche fiel: Irgendwelche Beeinträchtigungen oder Schäden waren nicht zu erkennen.
Er kehrte zu der Öffnung zurück, weiterhin mit der Karte in der Hand. Er wechselte einen Blick mit Bethany:
Also, los geht’s.
Er hielt die Karte voll in den Lichtkegel und schob sie dann zur Hälfte in die Öffnung mitten in der Luft.
Sie traf auf keinen Widerstand. Die vordere Hälfte der Karte glitt einfach
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