Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
Vom Netzwerk:
langgestreckten, diffusen Bogen die Milchstraße. Die dünne Mondsichel hing tief am Himmel, als wäre sie erst vor einer Stunde aufgegangen – oder als würde sie in einer Stunde verschwinden, da war Travis sich nicht ganz sicher. Doch es war auf jeden Fall derselbe Mond, den er schon sein Leben lang kannte. Der Ort, von dem aus er diesen Nachthimmel sah, so viel stand fest, befand sich also zumindest auf dem Planeten Erde.
    Seine Augen begannen bereits, sich an die Dunkelheit auf dieser Seite zu gewöhnen, die wesentlich tiefer war als in der Suite mit den zugezogenen Vorhängen.
    Nach und nach schälten sich vor seinen Augen erste Einzelheiten in der nächtlichen Landschaft heraus. Er sah die Baumkronen eines Waldes, etwa sechs Meter unterhalb seines Standorts. Spitz aufragende Kiefern und breiter ausfächernde Laubbäume, seltsam farblos im schwachen Licht des Mondes.
    Er sah noch andere Formen, die er aber nicht zu deuten wusste. Merkwürdige geometrische Formen ragten hier und da aus dem Wald in die Höhe, wie riesige Baugerüste oder Türme aus Bambusrohr. Genauere Einzelheiten waren nicht zu erkennen, dazu war es zu dunkel. Selbst Entfernungen waren schwer zu schätzen. Travis senkte den Blick und sah direkt unter sich die Fundamente eines solchen Bauwerks; seine komplexe Form erhob sich in der Dunkelheit knapp hinter seinem Standort.
    Die einzige Form, die er noch erkennen konnte, erhob sich sehr hoch und schmal, aber stabil wirkend am Horizont, mindestens eine Meile weit weg. Selbst aus dieser Entfernung war die Höhe des Objekts beeindruckend, es überragte die Bäume locker um das Fünffache. Er spähte angestrengt hinüber, konnte jedoch außer dem groben Umfang und der Höhe keine Einzelheiten erkennen. Irgendwie fühlte er sich an einen Industrieschlot erinnert, der gewaltig aus irgendeiner Fabrik aufragte. Rauch allerdings war nirgendwo zu sehen, und auch keine Fabrik, es sei denn, da drüben waren alle Lichter abgeschaltet.
    Er nahm eine Bewegung wahr, und gleich darauf tauchte Bethany neben ihm auf, die sich ebenfalls durch die Öffnung beugte. Er rückte etwas zur Seite, damit sie Platz hatte.
    Kurze Zeit standen sie einfach nur Seite an Seite da und horchten in die Nacht. Travis sah noch einmal zum Mond und entschied, dass er inzwischen höher stand als eben noch. Die Mondsichel war sehr schmal, was nur bedeuten konnte, dass die Sonne nicht mehr sehr tief unterhalb des Horizonts stand. In spätestens einer Stunde würde der Morgen dämmern, worauf jetzt allerdings noch nichts hindeutete.
    «So eine stockfinstere Landschaft habe ich ja noch nie gesehen», sagte Bethany. «Am Horizont ist nicht die geringste Lichtverschmutzung zu erkennen. Dazu müsste selbst die nächste mittelgroße Stadt über hundert Meilen entfernt sein. Gleichzeitig aber haben Menschen hier große Bauten errichtet, die nicht näher zu identifizieren sind. Von dem Monstrum da am Horizont ganz zu schweigen.» Sie deutete mit der Hand auf das hohe Bauwerk in der Ferne. «Es dürfte an die vierzig Stock hoch sein. Vielleicht sogar noch höher.» Nach kurzem Schweigen wandte sie sich ihm zu. «Wo bitte schön sind wir hier?»
    Travis wusste es auch nicht. Möglicherweise, mutmaßte er, handelte es sich um eine militärische Anlage, die aus Sorge um die öffentliche Sicherheit oder – das schien wahrscheinlicher – aus Gründen der Geheimhaltung in einer entlegenen Wildnis errichtet worden war. Warum aber sollte ein Gerät außerirdischen Ursprungs ihnen zufällig gerade so einen Ort zeigen? Wieso genau sollte es ihnen überhaupt einen
bestimmten
Ort zeigen und nicht wahllos irgendeine beliebige Gegend? Selbst wenn sich der Ort auf der anderen Seite in einer bestimmten Entfernung und Richtung von ihrem Standort aus befand, kamen dafür zig beliebige Gegenden in Frage. Der einfachen Wahrscheinlichkeit nach hätten sie jetzt ebenso gut den Ozean vor sich erblicken können, eine weit offene Prärie, eine arktische Tundra oder auch eine Straße in irgendeiner Großstadt mit einem McDonald’s, einem Starbucks und einem halben Dutzend Ampeln.
    «Ich habe keine Ahnung», sagte Travis.
    Bethany setzte zum Sprechen an, da drang aus den Bäumen direkt unter ihnen ein langgezogener, schriller Schrei. Bethany zuckte heftig zusammen und suchte Halt an seinem Arm. Worüber Travis insgeheim ganz froh war; denn so bekam sie nicht mit, dass er vor Schreck selbst am ganzen Körper erstarrt war.
    Da erkannte er das Geräusch und beruhigte sich

Weitere Kostenlose Bücher