Dystopia
sah die Scheibe an. Bethany sah die Scheibe an.
Nichts passierte.
Die schwarze Scheibe schwebte einfach nur am Ende des Lichtstrahls in der Luft.
Travis fiel auf, dass sie nicht spiegelte. Durch die großen Fenster des Zimmers flutete helles Tageslicht herein. Hätte es sich um eine blanke Oberfläche gehandelt, hätten sie beide auf dem Sofa lediglich einen grellen Widerschein des Lichts gesehen. Auf einem so positionierten Fernseher mit Glasbildschirm etwa wäre aufgrund des Spiegeleffekts nichts zu erkennen gewesen.
Von der Scheibe aber spiegelte nichts wider, sie war so stumpf wie ein Stück Stoff. Und selbst Stoff wäre durch das Licht im Zimmer optisch aufgehellt worden. Hätte eher grau als schwarz gewirkt, unabhängig davon, wie dunkel er war.
Die Scheibe aber war einfach nur tiefschwarz.
Travis drängte sich dafür nur eine Erklärung auf.
«Du heilige Scheiße», sagte Bethany.
Travis wandte sich ihr zu und sah, dass sie offenbar zu demselben Schluss gelangt war wie er.
Einige Sekunden lang saßen sie schweigend da.
Dann stand Travis vom Sofa auf. Unwillkürlich geradezu. Das eben noch von seinem Gewicht nach unten gedrückte Sitzpolster hob sich, und etwas von dieser Bewegung übertrug sich auf das mittlere Polster, auf dem der Zylinder lag. Travis sah, wie die schwarze Scheibe – oder das, was wie eine Scheibe aussah – sich ein Stückchen hob und dann wieder senkte, während der Lichtkegel durch die Luft zitterte; ein Phänomen, das sich gleich darauf wiederholte, als Bethany ebenfalls aufstand.
Travis bewegte sich auf die Scheibe zu und hielt dabei sorgsam Abstand von dem Lichtkegel; Bethany auf der anderen Seite folgte seinem Beispiel. Dann stockte ihr hörbar der Atem, und sie hielt inne. Travis sah zu ihr.
Obwohl alle Fenster in der Suite geschlossen waren, wurde ihr Haar durch einen steten Luftzug bewegt. Sie wandte das Gesicht direkt diesem Fächeln zu, das mindestens so stark war wie die Luftbewegung durch einen Tischventilator. Die Brise schien direkt aus der Scheibe zu kommen. Was aber im eigentlichen Sinne nicht stimmte.
Denn es handelte sich gar nicht um eine Scheibe.
Es war eine Öffnung.
Travis stand da wie betäubt. Zu unmöglich schien das, was er hier vor sich sah. Sobald er wieder halbwegs klar denken konnte, suchte er fieberhaft nach einer Erklärung für das, womit sie es hier zu tun hatten. Soweit das überhaupt möglich schien.
Die Projektion war eine Öffnung. Ein Loch mitten in der Luft. Wie ein Türdurchgang zwischen zwei Zimmern. Auf dieser Seite befand sich die Präsidentensuite im Ritz Carlton in Washington. Und auf der anderen Seite – was genau befand sich dort?
Der aus der Öffnung dringende Luftzug fächelte weiter durch Bethanys Haar, auch der Stoff ihrer Bluse bewegte sich leicht. Ihr Blick war ausdruckslos, als wüsste sie noch nicht recht, was sie von der Sache halten sollte. Travis ging es ganz ähnlich.
Er machte noch einen Schritt vorwärts. Nun war er nur mehr einen guten halben Meter von der Öffnung entfernt, sozusagen in Griffweite. Wenn er gewollt hätte, hätte er jetzt hineingreifen können.
Auch aus dieser größeren Nähe sah sie nicht anders aus als vorher. Immer noch schwarz. So schwarz wie ein offenes Fenster in einer mondlosen Nacht, von einem hell erleuchteten Zimmer aus betrachtet.
Bethany trat auf ihrer Seite ebenfalls näher. Bislang hatten sie es beide sorgsam vermieden, auch nur die Hand in den Projektionskegel zu stecken.
Der leise Windzug machte sich nach wie vor hauptsächlich bei Bethany bemerkbar, doch aus dieser Entfernung nahm nun auch Travis etwas davon wahr.
«Was ist dort auf der anderen Seite?», fragte Bethany im Flüsterton.
Travis schüttelte nur ratlos den Kopf.
Der Ort auf der anderen Seite musste sich auf jeden Fall im Freien befinden. Dort ging Wind. Und es war Nacht, was die Lage des Ortes zu jedem Zeitpunkt auf die Hälfte der Erde eingrenzte.
Vorausgesetzt, der Ort auf der anderen Seite befand sich überhaupt auf der Erde.
Travis fragte sich, ob die herausströmende Luft wohl irgendwie schädlich war. Falls ja, war es nun wahrscheinlich zu spät, sich darüber Gedanken zu machen.
Die Versuchstiere in Border Town waren jedenfalls nicht davon beeinträchtigt worden. Auf einmal begriff Travis, wozu sie eingesetzt worden waren. Paige hatte sie durch die Öffnung gesteckt, um zu prüfen, ob die Schwelle gefahrlos überschritten werden konnte.
Er sah Bethany an. Sie starrte mit verengten Augen in
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