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E-Book - Geisterritter

E-Book - Geisterritter

Titel: E-Book - Geisterritter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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noch nicht mal sieben war.« Für einen Moment verschwammen seine Züge, als ginge er in seinen Erinnerungen verloren.
    »Es gibt nur einen Weg, dir etwas über das Kämpfen beizubringen«, sagte er schließlich. »Und ich bin nicht sicher, ob es der richtige ist. Du lernst vielleicht Dinge, die du nicht wissen willst.«
    »Was ist das für ein Weg?«, fragte ich.
    Longspee sah mich an, als wäre er unschlüssig, ob er ihn mir zeigen wollte.
    »Jon Whitcroft wird William Longspee«, antwortete er schließlich. »Für ein paar Herzschläge …«
    »Wie?« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Ichwollte niemand lieber sein als er, niemand auf der ganzen Welt, auch wenn er ein toter Mann war.
    »Komm näher!«, sagte er.
    Ich gehorchte. Ich trat so dicht an ihn heran, dass das Licht, das ihn umgab, meine Haut ebenso blass färbte wie die seine und seine Kälte mir durch die Kleider drang.
    »Noch näher, Jon!«, sagte er.
    Es war, als schmölze ich. Ich fühlte einen anderen Körper, noch jünger als meinen, einen Gürtel, einen Brustschutz aus Leder … und da war ein anderer Ritter, so groß wie Longspee, mit einem Schwert in der Hand. Er griff mich an. Ich hatte auch ein Schwert, kurz und schwer. Ich riss es hoch, aber nicht schnell genug. Schmerz. Blut rann mir den Arm hinunter. Eine Stimme: »Gottfried! Er ist dein Bruder!« »Na und?«
    Der Schmerz war furchtbar, ich konnte kaum denken. Wo war ich? Wer war ich?
    Ich spürte, wie mein Körper wuchs. Ich war stark und groß, aber da war noch mehr Blut. Und mehr Schmerz. Da waren Schwerter, viele, Lanzen, Messer, Pferde. Ich kämpfte. Diesmal war das Schwert so lang, dass ich es mit beiden Händen hielt. Ich spürte, wie meine Arme es in einen anderen Körper stießen. Ich hörte meinen eigenen Atem, schwer und viel zu schnell, fühlte Regen auf meinem Gesicht. Er schmeckte salzig. Ich roch das Meer. Der Grund unter meinen Füßen war feucht und schlammig. Ich rutschte aus, schlug hin. Etwas bohrte sich in mein Bein. Ein Pfeil. Ich schrie vor Schmerz, oder war es Wut? Da war Blut in meinen Augen. Meins oder das eines anderen Mannes?
    Jemand rief einen Namen. Immer wieder.
    »Jon!«
    Mir war kalt und plötzlich wieder warm. Ich stolperte zurück, bis mein Rücken gegen eine Mauer stieß. Den Pfeil in meinem Bein spürte ich immer noch. Meine Finger tasteten danach, als müssten sie sich davon überzeugen, dass er mir nicht doch im Fleisch steckte. Aber meine Augen suchten nach Longspee.
    Er war fast unsichtbar. Das Licht, das ihn sonst umgab, war erloschen. Er war ein Schatten, nichts weiter.
    »Ich wurde fast getötet in dieser Schlacht.« Seine Stimme schien von weit, sehr weit her zu kommen. »Es gab viele solcher Schlachten, so viele. Alles, was bleibt, ist der Schmerz, die Angst und der Lärm. Kämpfen gegen die Franzosen, kämpfen gegen meine eigenen Landsleute, kämpfen für meine Brüder, kämpfen gegen sie, kämpfen …« Longspees Stimme schien aus den Wänden zu kommen, aus den Grabsteinen, die die Kreuzgänge säumten, aus den Fliesen unter meinen Füßen.
    »All die Gewalt weißgewaschen, weil wir uns für die richtige Sache schlugen, all die Grausamkeit unser heiliges Werkzeug, so heilig wie die Knochen der Märtyrer, die wir uns um die Hälse hängten. Und hier stehe ich, bedeckt mit Blut, gebunden durch meinen eigenen Eid, gefangen zwischen Himmel und Hölle und getrennt von der Einzigen, die die Dunkelheit vertreiben könnte.«
    Ich spürte seine Traurigkeit ebenso schmerzhaft, wie ich den Pfeil gespürt hatte.
    »Was kann ich tun?«, stammelte ich. »Kann ich irgendetwas tun?«
    Longspees Gesicht war immer noch aus Dunkelheit gemacht. Er antwortete eine ganze Weile nicht. Und als er es tat, war es nicht die Antwort, die ich hören wollte.
    »Geh nach Hause, Jon«, sagte er, während sein Schatten mit den Mauern der Kathedrale verschmolz. »Vergiss William Longspee. Er ist verflucht. Durch den eigenen Schwur und die Falschheit eines anderen. Er hat sein Herz verloren und die, die er liebt. Ohne sie gibt es keinen Weg aus der Dunkelheit.«
    Und fort war er.
    »Nein. Warte!« Meine Stimme hallte so laut durch die alten Gänge, dass ich selbst erschrak. Ich lauschte in die Nacht, aber kein Wächter kam, kein Priester und kein toter Ritter.
    Ich fiel auf die Knie. Es war das Einzige, was mir einfiel. Ella wäre stolz auf mich gewesen.
    »Longspee!«, rief ich. »William Longspee! Komm zurück! Ein Ritter muss bei seinem Knappen

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