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E-Book statt Papierkonserve

E-Book statt Papierkonserve

Titel: E-Book statt Papierkonserve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Michaelis
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es sein, dass Utnapischtim ewig lebt, während alle anderen Menschen sterben müssen?
    Utnapischtim erzählt ihm daraufhin seine Lebensgeschichte, die ein wenig der des biblischen Noah ähnelt: Ea, der Gott der Weisheit, hatte ihm mitgeteilt, dass eine Sintflut seine Heimat heimsuchen würde und er ein großes Schiff bauen müsse, um zu überleben. Utnapischtim tat dies und nahm auch Tiere mit an Bord. Die Sturmflut brach herein und alle Menschen – außer Utnapischtim – kamen um. Nach einigen Tagen lief das Schiff auf einen Berg auf und nach ein paar weiteren Tagen konnte Utnapischtim das Schiff verlassen. Als Anerkennung für seine Leistung verlieh ihm Ea das ewige Leben. Allerdings muss er es in einer fernen Region, weitab von den Menschen, führen.
    Utnapischtim erzählt Gilgamesch, wo er ein Kraut finden kann, das die Macht hat, alte Menschen wieder jung zu machen. Gilgamesch findet das Kraut und macht sich auf den Rückweg. Doch unterwegs entwendet ihm eine Schlange das kostbare Kraut und so muss Gilgamesch mit leeren Händen heimkehren. Am Ende des Epos erkennt er, dass von allen seinen Anstrengungen, den Tod zu überdauern, immerhin die Mauer bleibt, die er um Uruk hat bauen lassen.
    So ist das Gilgamesch-Epos ein Vorläufer des Buches: ein umfangreicher, bedeutender Text, der niedergeschrieben wurde, damit andere Menschen, spätere Generationen diese Geschichte lesen und hören können – allerdings nicht in Buchform, sondern auf Tafeln. Gemessen an dem, was später als Buch gilt, erfüllt das Gilgamesch-Epos also schon zwei von drei Kriterien: Es handelt sich um einen längeren Text, der in schriftlicher Form niedergelegt wurde. Einzig die Form, in welcher das Epos festgehalten wurde, unterscheidet sich von der des später als Buch bezeichneten Mediums: Das Epos wurde auf zwölf Tontafeln überliefert. Der Inhalt dieser Tafeln wird heutzutage als Buch veröffentlicht.
    Das Gilgamesch-Epos ist eine der frühesten uns überlieferten dramatischen Darstellungen vom Leben und Wirken der Menschen. Wurden diese Geschichten zuvor über Jahrhunderte mündlich weitergegeben, ermöglichte es die Weiterentwicklung der Keilschrift den babylonischen Dichtern, die Geschichte mit ihren Griffeln auf Tontafeln einzuritzen und so der Nachwelt zu übergeben. Was dieses Epos und alle längeren schriftlichen Texte auszeichnet, die dann später als Bücher bezeichnet werden, ist die lineare, aufeinander aufbauende Struktur des Textes. In dem Schriftstück werden entscheidende Episoden aus dem Leben des Gilgamesch geschildert. Der zeitlichen Abfolge der Szenen aus dem Leben des Helden entspricht – in verkürzter Form – die zeitliche Abfolge des Lesens. So wie die späteren Abschnitte aus Gilgameschs Leben seine früheren Erlebnisse und Einsichten enthalten, so baut sich auch beim Leser diese Abfolge der Erfahrung auf. Im aktiven Prozess des Verstehens kann der einzelne Leser dann zum einen die Geschichte von Gilgamesch lernen und sie zum anderen zu seinem eigenen Erleben, seiner eigenen Lebensgeschichte oder der von Menschen, die er kennt, in Bezug setzen. Dieser Prozess des Verstehens durch Lesen und Nachdenken über den Text ist auch individuell von den Erfahrungen des Lesenden und den allgemeinen Gegebenheiten in seiner Zeit abhängig. Die Kenntnis der Sprache ermöglicht das Nacherzählen. Doch erst das Verstehen, das bewusste oder intuitive Erkennen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den im Text geschilderten Ereignissen und der eigenen Lebenswelt ermöglicht es dem Leser, das Gelesene auf die eigene Erfahrungswelt anzuwenden und in sein Handeln einzubeziehen.
    Eine für den Leser sehr wertvolle Eigenschaft des Textes ist dabei, dass die Hoheit über die Zeit bei ihm verbleibt. Leserinnen und Leser bestimmen selbst, in welchem Tempo sie lesen und wie häufig sie Pausen einlegen, um das Gelesene zu überdenken, etwas im Text anzustreichen oder anzumerken. Der Text hat in sich eine zeitliche Struktur, doch die Geschwindigkeit wird vom Leser bestimmt. Dies ist bei vielen elektronischen Medien – etwa dem Fernsehen oder dem Hörfunk – gänzlich anders. Da ist neben dem zeitlichen Ablauf auch die Geschwindigkeit, mit welcher der Inhalt präsentiert wird, vorgegeben. Vielleicht können wir in den immer beliebteren Pageturnern in dieser Hinsicht eine Angleichung des Buches an Fernsehen und Hörfunk sehen. Doch selbst durch diese Texte werden wir nicht hindurchgetrieben, sondern bleiben maßgebliche Akteure im

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