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e-Motion

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Titel: e-Motion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Orloff
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und Natursteintreppe führte zu einer Holztür mit Milchglasscheiben, die von Orchideenstauden eingerahmt war. Ich ging die Stufen hoch, klingelte und wartete.
    Schließlich öffnete sich die Tür, und vor mir stand Amerikas berühmtester lebender Schriftsteller. Roland Riggs war groß, und sein Haar schlohweiß. Ich hatte vergessen, dass das letzte Foto von ihm aus dem Jahr 1977 stammte. Er trug eine silberfarbene Brille, die seine klaren blauen Augen betonte. Seine Haut war gebräunt und sonnengegerbt, und als er lächelte, kamen seine strahlend weißen Zähne und kecke Grübchen zum Vorschein. Er sah aus wie die perfekte Version eines amerikanischen Großvaters.
    „Cassie Hayes.“ Er reichte mir seine mit Altersflecken übersäte, runzelige Hand und schüttelte meine kräftig.
    „Ja, Sir.“
    „Nennen Sie mich Roland … Wo sind Ihre Sachen?“ Suchend reckte er den Hals.
    „Im Auto, unten bei der Gartentür.“
    „Wir holen sie später. Was halten Sie von einem Imbiss? Maria hat einen Teller mit Enchiladas vorbereitet.“
    „Hört sich gut an.“
    „Wunderbar.“ Er drehte sich um und führte mich in das Haus. Er hatte einen leicht schleppenden, etwas gebückten Gang, und seine Haare standen an den Enden ab, ein bisschen in Einstein-Manier. Ich kam nicht umhin festzustellen, dass er barfuß war. Um den Hals trug er eine Muschelkette. Unter seiner sorgfältig gebügelten knielangen Freizeithose stachen karierte Boxershorts hervor. Drinnen liefen die Bee Gees. Als im Hintergrund „Staying Alive“ ertönte, wiegte er sich, unbewusst, wie ich vermutete, ein-, zweimal hin und her, so wie Leute es tun, wenn sie in einem Lied abtauchen. Sein Taktgefühl ging allerdings gegen Null. Wie ich diesem Mann so folgte, dessen Worte die Art verändert hatte, mit der die Amerikaner über Krieg sprachen, musste ich innerlich lachen. Zumindest war er anders als alle Großväter, die ich kannte.
    Roland Riggs’ Küche zu betreten war etwa wie der Besuch bei der Sendung „Wunder dieser Erde“ oder dergleichen. Die Pflanzen wuchsen nicht einfach auf dem Sims vor dem Fenster, durch deren dreifach verglaste Scheiben das Sonnenlicht in den Raum strömte. Sie wuchsen überall, und ich fragte mich eher, ob es in dieser Küche unter all den Töpfen überhaupt so etwas wie eine Anrichte gab.
    „Was sind
das
denn alles für Gewächse?“
    „Kartoffelbonsais.“
    „Wie bitte?“
    „Kartoffelbonsais.“
    „Noch nie gehört.“
    „Da geht es Ihnen wie den meisten Leuten. Als Sie noch ein kleines Mädchen waren, haben Sie da jemals versucht, eine Kartoffel zu ziehen? Eine Knolle an zwei Zahnstochern in einem Glas halb in Wasser tauchen und der ganze Kram?“
    Ich versuchte, mich in meine Kindheit zurückzuversetzen. Meine Mutter hätte niemals ein Nahrungsmittel angerührt, das man noch zubereiten musste. Für unsere Haushälterin war die Küche ihr heiliges Terrain gewesen, und sie hätte jedem mit dem Tod gedroht, der es zu betreten gewagt hätte. Und mein Vater? Er half mir, meine hundertdreißig Seiten starke Abschlussarbeit über Frauenfeindlichkeit in der englischen Literatur am Ende der Oberstufe zu schreiben. Das Züchten von Kartoffeln und andere kindliche Freuden gehörten nicht zu seinem Repertoire. Ich aber traf gerade zum ersten Mal den großen Roland Riggs. Also tat ich, was ich bei allen meinen Autoren so gut beherrschte. Ich log.
    „Aber natürlich.“
    „Nun, Maria treibt diese Kunst einen Schritt weiter. Sie hegt und pflegt diese speziellen kleinen Kartöffelchen hier, bis sie einen Bonsai daraus machen kann. Und dann setzt sie alles daran, dass so etwas daraus entsteht. Sehen Sie, da drüben.“
    Ich musste nicht lange suchen, bis ich die Pflanzen in einer Ecke der Küchenzeile entdeckte, die sie in wunderschönen japanischen Gefäßen aus Glas aufbewahrte. Sicher, die meisten Bonsais, die ich bislang gesehen hatte – und das waren zugegebenermaßen nicht viele –, stellten kleine Szenen mit japanischen Fischern nach, die angelten oder auf einem Balken saßen. Oder sie stellten auch gar nichts nach, und es waren schlicht Bonsais mit ihrem anmutig verschlungenen Geäst. Diese Bäumchen jedenfalls sahen aus wie winzige Trolle, die auf hohen Stühlen saßen, sich gegenseitig umarmten und mit ihren abstehenden, beängstigend grün, gelb oder auch knallrosa gefärbten Haaren direkt Don Kings Boxstall entsprungen sein könnten.
    „Diese Art der Kunst habe ich noch nirgendwo gesehen“, sagte ich. Und meinte es

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