e-Motion
die Mischung aus einem Schrei und dem Jaulen eines Nachtgespenstes.
„Gleich, Pepito!“ Marias Wangen glühten. „Meine Kinder. Die Vögel und Mr. Riggs. Jetzt aber huschhusch mit euch. Ich muss das Abendessen vorbereiten. Wenn Ihnen schon das Mittagessen geschmeckt hat, dann warten Sie mal ab, was gleich kommt. Sehr scharf!“
Mir gefror das Lächeln auf den Lippen. „Wunderbar!“ Einen Monat dieses Essen, und mein Geschwür hätte ein Loch von der Größe eines Kraters in meinen Magen gerissen.
„Jetzt kommen Sie aber erst mal richtig hier an.“ Roland stand auf. Zusammen gingen wir durch den Garten zu meinem Wagen und holten Koffer und Taschen, die wir so unter uns aufteilten, dass wir kein zweites Mal laufen mussten.
Auf dem Weg zurück zum Haus musste ich mich extrem zusammenreißen, um ihn nicht andauernd anzustarren. Ab sofort lebte ich bei einer Ikone, und ich erinnerte mich an früher, als ich ein kleines Mädchen war. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuschte, hatte ich drei Weihnachten erlebt, die schlicht perfekt gewesen waren: Meine Mutter war noch nicht weg, und meinem Vater ging es noch gut. Der Baum war geschmückt wie die Tannen in den Schaufenstern auf der Fifth Avenue, und unter ihm ratterte eine Spielzeugeisenbahn. In der Wohnung roch es nach Bratäpfeln und Gewürzen wie Nelke und Zimt. Kitschiger hätte es auf keiner Postkarte gemalt sein können. Und ich erinnerte mich, dass ich mich in den Arm kniff, um zu sehen, ob ich nicht träumte. Und als ich sicher war, dass ich mich nicht täuschte, versuchte ich mir jedes einzelne Detail genau einzuprägen. Ich betrachtete die Dinge und saugte sie in mir auf, und selbst da dachte ich schon, so perfekte Augenblicke erlebt man nicht oft im Leben. Und nichts von diesen Weihnachtsfesten würde ich jemals vergessen.
Aber für eine Lektorin war Roland Riggs besser als das Fest der Besinnlichkeit für ein Kind. Er war Geschichte, und ich war in seinem Haus, und wenn ich alt und grau sein würde, wollte ich mich an jede Minute meines Aufenthalts erinnern können. An jedes Bild an der Wand. Jedes Wort, das er sagte. Darüber hinaus durfte ich ja schon wegen der nächtlichen Telefonate mit Lou nichts vergessen. Er würde mir nie verzeihen, wenn auf dem Bücherregal der originale Korrekturabzug von
Simple Simon
läge und ich es ihm nicht erzählte. Oder dass ich das Haus – womit wir beide nicht gerechnet hatten – mit einem Dr. Doolittle teilte.
Mein Zimmer war schöner als jedes im Vier Jahreszeiten. Es hatte seinen eigenen Balkon mit Blick auf den Golf von Mexiko und war im französischen Landhausstil eingerichtet. Die Wände waren in einem Blauton gehalten, der es mit der Farbe des Meeres hätte aufnehmen können. Schon als ich es betrat, wich alle Anspannung von mir, wenngleich ich instinktiv den Blick schweifen ließ und nach einem unauffälligen Plätzchen für meine Kaffeemaschine Ausschau hielt.
„Dort drüben steht ein Schreibtisch … und Ihren Laptop können Sie hier anschließen.“
„Werde ich damit auch nicht Ihre Telefonleitung blockieren?“
Roland Riggs warf den Kopf nach hinten und fing wie ein Betrunkener in einer Bar, der mit dem Keeper gerade die besten Witze austauscht, lauthals an zu lachen. Ich zog eine Augenbraue hoch.
„Mit Ausnahme von Lou habe ich in den vergangenen fünfzehn Jahren niemanden angerufen. Vielleicht noch meinen alten Verleger ein paar Mal. Bevor er starb. Sie sind also in etwa im Bilde.“
„Na schön, bestens. Dann wird der Computer Sie nicht weiter stören.“
„Nein. Wie Sie wissen, surfe ich ja auch ab und zu im Netz. Aber das passiert früh morgens. Brauchen Sie die Leitung lange vor sechs Uhr?“
„Ich will Sie nicht beleidigen, aber vor sechs Uhr tue ich noch nicht mal einen Atemzug zu viel.“
Erneut brach er in schallendes Gelächter aus. Dachte ich, bis ich begriff, dass es im Garten einen Papagei geben musste, der den Hausherrn lediglich nachmachte. „Hervorragend. Nun, dann lasse ich Sie jetzt allein, damit Sie in Ruhe auspacken können. Legen Sie sich eine halbe Stunde hin, wenn Ihnen danach ist. Gehen Sie an den Strand. Ich erwarte Sie um halb sieben zum Essen. Ach … eins noch.“ Er zog eine Schachtel mit Lutschtabletten für den Magen aus der Tasche. „Wenn Sie meinen, dass Ihnen Marias Küche zu scharf ist, dann möchten Sie die hier vielleicht immer gern dabei haben. Mein Vorrat reicht mindestens für sechs Monate. Ich habe die kleinen Packungen in dem Wäscheschrank
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