Eanna - Stürmische See - Éanna ; [2]
Zimmer war. »Entschuldigt, aber ich habe nicht gehört, dass Ihr mich zum Ablegen aufgefordert habt«, sagte sie verlegen und öffnete hastig die Schließen ihres Wollmantels.
»Von einer Aufforderung kann auch keine Rede sein. Ich hatte dich vielmehr darum gebeten, dir beim Ablegen deiner warmen Wintergarderobe behilflich sein zu dürfen«, stellte er schmunzelnd richtig. »Doch ich habe den Eindruck, du warst in dem Moment ein wenig abgelenkt von dem funkelnden Ballast, diesen schönen toten Dingen, mit dem diese Räume vollgestellt sind. Nicht gerade ein Kompliment für meine Person, will mir scheinen.«
Verständnislos sah Éanna ihn an, während sie ihm nun wortlos ihren warmen Umhang überließ und sich dann schnell von Schal und Mütze befreite. Seine Bemerkung über den funkelnden Ballast und die toten Dinge gab ihr Rätsel auf. Das war mal wieder einer dieser höchst merkwürdigen Sätze aus seinem Mund, die sie nicht verstand. Sie konnte nicht einmal davon träumen, jemals auch nur einen Bruchteil von diesem »Ballast« zu besitzen!
»Mach es dir schon mal in einem von den Sesseln vor dem Feuer bequem. Ich hole nur schnell von hinten den Tee«, forderte er sie auf, während er ihre Sachen über eine Lehne des Sofas legte. »Ich hoffe, er ist nach deinem Geschmack und löst dir gleich die Zunge. Im Augenblick scheint sie dir noch etwas schwer im Mund zu liegen. Aber ich bin guter Dinge, dass du mit deinen Geschichten flugs Licht in das trübe Dunkel meiner kläglichen Existenz als Schriftsteller bringen wirst!« Mit diesen Worten verschwand er im angrenzenden Zimmer.
Éanna schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, ob er sich über sie lustig machen wollte. Was sollte es denn einen Herrn wie ihn kümmern, ob ihr sein Tee schmeckte? Noch nie hatte sie jemand danach gefragt, ob dieses oder jenes nach ihrem Geschmack sei. Und noch nicht einmal Missis Skeffington, die doch für ihre Dienste bezahlt wurde, hatte ihre Logiergäste danach gefragt, ob ihnen die Kost schmeckte, die auf den Tisch kam. Das erwartete auch niemand, nicht einmal im Traum. Jeder von ihnen wusste, woher er kam und wo sein Platz war. Dass Mister O’Brien ihr überhaupt irgendetwas anbot, war schon ungewöhnlich genug, sogar wenn es nur ein Glas Wasser gewesen wäre. Aber was konnte man bei ihm schon gewöhnlich nennen?
Zögernd und fast ängstlich nahm Éanna auf der Kante eines der beiden schweren Sessel Platz. Aus dem Nebenzimmer mit dem Messingbett kam das Knarren einer Tür. Sie folgerte daraus, dass es noch einen dritten Raum gab. Vermutlich eine kleine Küche. Und womöglich gehörte auch noch ein Waschkabinett dazu, das es in solch vornehmen Häusern geben sollte, wie sie gehört hatte.
Als sie den Kopf nach links wandte, wo ein niedriger, runder Beistelltisch stand, fiel ihr Blick auf das Telegramm, das sie vor gut zwei Wochen an den jungen Mann hatte kabeln lassen. Es lag auf einem Notizbuch, das O’Brien zusammen mit mehreren angespitzten Bleistiften dort bereitgelegt hatte.
Sie brauchte es nicht in die Hand zu nehmen, um zu wissen, wie der Text lautete und welches Versprechen sie ihm mit ihrem telegrafischen Hilferuf gegeben hatte. Und doch konnte sie nicht anders, als genau das zu tun.
Kaum hatte sie das Papier in die Hand genommen, als Mister O’Brien auch schon hinter ihr stand. Er sah sofort, was sie in der Hand hielt, und zitierte den Text aus dem Gedächtnis: »Nach Flucht aus Arbeitshaus gefasst – stopp – Auf Wache in Ballymore Eustace – stopp – Rettet mich vor Gefängnis – stopp – Bezahle mit meinem Leben – stopp – Éanna Sullivan!« Lachend stellte er einen kleinen Klapptisch, dessen Kanten und Scharniere aus Messing gearbeitet waren, zwischen den beiden Sesseln ab. Auf dem Tischchen standen eine rundbäuchige Teekanne, zwei Tassen mit Untertellern, eine Zuckerdose und eine Schale mit Gebäck. Das Geschirr war aus feinstem weißem Porzellan mit einem tintenblauen Muster. Es war Porzellan von jener erlesenen Art, wie es sie in Dublin nur in den vornehmen Geschäften auf der Sackville Street zu kaufen gab.
Und während er Zucker in die Tassen gab und sie dann mit Tee füllte, fuhr er beschwingt fort: »Kein Wunder, dass du mich damit nach Ballymore Eustace gelockt hast! Wahrlich ein Geschenk des Schicksals, das dich in mein Leben gebracht hat! Denn du hast vollkommen recht gehabt mit dem, was du mir auf dem Weg nach Dublin vorgeworfen hast. Nämlich dass ich niemals ein wahrheitsgetreues Buch
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