Eanna - Stürmische See - Éanna ; [2]
über die Hungersnot unseres Landes zustande bringen werde, wenn ich nichts über euer hartes Leben und die alltäglichen Plagen der Kleinpächter weiß. Seitdem verstehe ich auch, warum ich in den letzten Wochen mit meinem Manuskript trotz meiner vielen Notizen und Skizzen kein Stück weitergekommen bin! Es war einfach nicht genug, dass ich auf meinen Werbereisen für Onkel Edmunds neues Schwarzbier dicke Notizbücher mit meinen Beobachtungen vollgeschrieben habe. Denn das, was ich gesehen habe, war nur Fassade, nur Oberfläche. Von all dem, was dahinterliegt, fehlt mir die ausreichende Kenntnis.« Er setzte die Kanne ab. »Nun denn, es ist fortan deine Aufgabe, mir alles zu erzählen, was ich wissen muss, damit ich endlich etwas zu Papier bringen kann, das dem Elend unseres Landes gerecht wird!«
Éanna hatte nur mit halbem Ohr hingehört, weil sie viel zu fasziniert war von dem wunderschönen, hauchzarten Porzellan. Als er ihr nun eine Tasse hinhielt, wagte sie nicht, sie zu berühren. Sie fürchtete, der Unterteller könnte schon unter dem leichtesten Druck ihrer Finger zerbrechen.
»Was für wunderschöne Dinge Ihr habt!«, entfuhr es ihr unwillkürlich, gefolgt von dem verlegenen Eingeständnis: »Aber ich weiß nicht, wie … wie man damit umgeht und sie richtig anfasst.«
Verdutzt sah er erst sie an, dann starrte er auf die Tasse in seiner Hand. Plötzlich überschattete ein zorniger Ausdruck sein Gesicht.
»Wunderschön?« Er lachte bitter auf. »Nein, das sind Dinge, die einen zum Sklaven machen, wenn man sich ihrer heimtückischen Verlockung nicht früh genug erwehrt!« Und mit einer jähen, wütenden Bewegung schleuderte er den Unterteller mitsamt der vollen Tasse in den Kamin, wo sie an der Rückwand unter Klirren und Zischen zerschellten.
Erschrocken sprang Éanna auf. »Warum habt Ihr das getan?«, stieß sie hervor.
Einen Augenblick stand Patrick O’Brien reglos da, den Blick auf das Feuer und die Scherben gerichtet. Dann wandte er den Kopf und sah den verstörten Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Verzeih! Ich wollte dich nicht erschrecken. Es tut mir leid. Bitte setz dich wieder! Mich so gehen zu lassen, ist gewöhnlich nicht meine Natur. Eher dürfte man mir Zögerlichkeit und Unentschlossenheit in den wichtigen Belangen des Lebens nachsagen, wie ich fürchte. Aber mir sitzt wohl der Streit mit meinem Onkel von heute Morgen noch in den Knochen!«, entschuldigte er sich hastig und sichtlich bestürzt von seiner unbeherrschten Handlung. »Aber es ist schon wahr, dass solche Besitztümer einen Menschen zu ihrem Sklaven machen können. Und nichts anderes als das ist es, was mein Onkel mit all seinen Zuwendungen erreichen will, nämlich mich an ihn und seine verfluchte Brauerei zu ketten! Und ich finde immer noch nicht den Mut, diese Ketten abzuwerfen und ihm offen ins Gesicht zu sagen, dass er nicht auf mich bauen kann.« Er fuhr sich über sein Haar, ehe er tief Luft holte und sich sichtlich zusammennahm. »Aber das dürfte wohl von keinem allzu großen Interesse für dich sein. Und nun nimm bitte wieder Platz, Éanna! Ich hole dir rasch eine neue Tasse!«
Schnell war er wieder zurück, goss Tee ein, gab einen Löffel Zucker dazu, entschuldigte sich dabei noch einmal für sein unbeherrschtes Benehmen und versicherte seinem Gast, dass das Porzellan in ihren Händen schon nicht zu Bruch gehen werde.
Diesmal nahm Éanna ihm die Tasse ab, wenn auch noch immer mit einem unguten, bangen Gefühl. Vorsichtig nippte sie am Tee, der köstlich schmeckte, um die Tasse dann schnell auf dem Tisch neben sich abzustellen.
»Schmerzt es Euch denn nicht, so etwas Kostbares mutwillig zu zerstören?«
»Meinen wenigen Talenten und Stärken mögen entschieden mehr Schwächen gegenüberstehen. Aber Unbeherrschtheit ist eine jener Schwächen, die ich zumindest nicht dazuzählen muss, schon gar nicht als alltägliche Gewohnheit«, sagte er noch einmal entschuldigend. »Aber was kostbar ist und was nicht, ist wohl immer eine Frage der Sichtweise. Ich werde bald eine neue Tasse kaufen. Obwohl Kenneth es vermutlich nicht einmal merken würde, wenn bei seiner Rückkehr ein halbes Dutzend Tassen von seinem Geschirr fehlen.«
Éanna machte ein verständnisloses Gesicht.
Ihr Gegenüber lachte auf. »Ach, das hatte ich wohl nicht erwähnt! Diese kleine Wohnung hier gehört nicht mir, sondern einem guten Freund aus Oxford-Tagen. Er ist auf Reisen und hat sie mir überlassen, damit ich mich fern meines Onkels dann und wann
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