Eanna - Stürmische See - Éanna ; [2]
hinunter. Vor der Haustür schlug ihr ein kalter Wind entgegen, der feinen Nieselregen mit sich trug. Hastig klemmte sie sich das Paket unter den linken Arm, um ihren Schal zu binden. In dem Moment fiel ihr Blick auf die Gestalt, die sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus dem Schutz einer Toreinfahrt löste und zu ihr über die Straße kam.
Sie erschrak. Es war Brendan. Und sein Gesicht war finsterer als die Regenwolken, die über Dublin heraufzogen.
Zwanzigstes Kapitel
Wie ein gereizter Stier stürmte Brendan quer über die Straße auf Éanna zu. Dabei geriet er fast unter die Räder einer zweispännigen Mietdroschke. Dem Fluch des Kutschers schenkte er keine Beachtung.
»So also verbringst du deine Sonntagnachmittage!«, schleuderte er ihr voller Wut entgegen, kaum dass er ihre Straßenseite erreicht hatte. »Und ich Dummkopf habe es erst nicht glauben wollen, dass du mich so schändlich betrügst!«
Das Blut wich ihr vor Entsetzen aus dem Gesicht. »Brendan! Bitte lass mich erklären …«
»Da gibt es nichts zu erklären! Ich habe doch Augen im Kopf! Du hast dich für diesen Lackaffen O’Brien mit der dicken Geldbörse zur Dirne gemacht!«, fiel er ihr ins Wort und gab ihr eine schallende Ohrfeige.
Der Schlag ins Gesicht traf sie nicht halb so hart wie seine Worte. »Das … das ist nicht wahr!«, stammelte sie.
»Erzähl mir doch nichts! Und ob das wahr ist!«, fauchte er sie an, außer sich vor Zorn. »Auf deine Lügen falle ich nicht mehr herein! Ich bin dir gefolgt, Éanna, weil ich es erst nicht für möglich gehalten habe, was Caitlin mir heute Morgen erzählt hat. Mein Gott, für was für einen Tölpel musst du mich gehalten haben? Nie hätte ich so etwas von dir erwartet!«
Caitlin! Wie konnte das sein? Woher wusste ausgerechnet Caitlin, wo sie war?
Hatte ihre ehemalige Weggefährtin ihr etwa hinterherspioniert? Aber warum sollte sie so etwas tun?
Éanna wirbelten die Gedanken nur so durch den Kopf, suchten verzweifelt einen Ausweg aus dem Schlamassel.
»Du tust mir unrecht!«, rief sie verzweifelt. »Es ist nichts zwischen mir und Patrick O’Brien vorgefallen, dessen ich mich schämen müsste.«
»Was du nicht sagst!«, höhnte er und zerrte ihre beiden Tickets für die Metoka aus seiner Manteltasche. »Und was ist hiermit? Willst du vielleicht immer noch auf deiner Lügengeschichte beharren, du hättest das Geld in einer alten Weste gefunden? Von ihm hast du die fünfzehn Pfund erhalten, gib es doch zu!«
»Das stimmt«, gestand sie gequält. »Aber er hat es mir aus freien Stücken gegeben und nicht für das, was du glaubst.«
»Dieser O’Brien kennt sich bestimmt bestens damit aus, wie man mittellose Mädchen beeindruckt und ins Bett bekommt. Der gibt einem dahergelaufenen Bauernmädchen nicht einfach eine solche Summe, ohne dass sie dafür bezahlt.« Er lachte verächtlich.
»Es ist aber die Wahrheit!«, beteuerte sie und die Tränen schossen ihr in die Augen. »Ich schwöre es bei allen Heiligen.«
»Nimm in meiner Gegenwart nie mehr das Wort heilig in den Mund!«, unterbrach er sie. »Denn dir scheint nichts heilig zu sein, schon gar nicht das, was wir miteinander hatten … oder besser gesagt, was ich Idiot glaubte, was wir einander bedeuten!«
»Brendan! Ich flehe dich an! Lass mich erklären, warum ich dir meine Besuche bei Mister O’Brien verschwiegen habe!«, beschwor sie ihn unter Tränen. »Ich weiß, dass das nicht richtig war und dass es dich sehr verletzen muss. Aber was immer dir Caitlin erzählt hat, stimmt nicht … oder ist nur die halbe Wahrheit. Und wenn du mir nur ein, zwei Minuten Zeit gibst, dir alles zu erklären …«
»Die Zeit kannst du dir sparen!«, fuhr er ihr schroff über den Mund. »Ich weiß, wann ich betrogen worden bin. Hier hast du deinen dreckigen Dirnenlohn wieder!« Er knüllte die beiden Tickets zusammen und warf ihr das Papierknäuel mit einer Geste der Verachtung vor die Füße. »Um nichts in der Welt will ich dank deines Hurenlohns nach Amerika kommen! Ich werde es auch allein schaffen, darauf kannst du Gift nehmen!« Und damit stürmte er davon.
Hastig bückte sich Éanna nach den Tickets, die der Wind fortzutragen drohte, steckte sie ein und lief ihm nach. »Brendan, gib mir doch in Gottes Namen eine Chance, die Sache richtigzustellen!«, bettelte sie mit tränenerstickter Stimme und versuchte mit ihm Schritt zu halten. »Es ist wirklich nicht so, wie du denkst! Ich habe ihm doch nur von meinem Leben erzählt, weil er
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