Eanna - Stürmische See - Éanna ; [2]
dem spöttischen und ein wenig blasierten Mann, den Éanna kennengelernt hatte. »Aber vielleicht hat er es auch extra gemacht, um mich nicht mit einer weiteren fesselnden Lektüre in meinem Wunsch zu bestärken, einem solchen Autor nacheifern zu wollen. Nur ein ausgemachter Dummkopf stellt einem schon reichlich Betrunkenen noch einen vollen Krug auf den Tisch. Und Onkel Edmund ist alles andere als ein Dummkopf. Er findet, ich hätte nun lange genug meinen Flausen nachgegeben. Erst gestern Morgen hat er mir das noch einmal eindeutig zu verstehen gegeben. Éanna, meine Tage in Dublin sind ebenfalls gezählt.« Er gab Éanna die Bücher. »Hier, nimm sie und schlage einen guten Preis in New York für sie heraus. Ich habe sie mehrfach eingewickelt. Zwischen den Lagen von gewachstem Papier wirst du beim Auspacken auch noch eine Lage geteertes Segeltuch finden. Die Bücher werden also auf See keinen Schaden nehmen, nicht einmal dann, wenn sie dem Salzwasser direkt ausgesetzt werden.«
Éanna war gerührt, dass er nichts dem Zufall überlassen hatte. »Ihr beschämt mich«, sagte sie und schlug den Blick nieder. »Wie sehr wünschte ich, ich könnte irgendetwas tun, um Euch zu zeigen, wie dankbar ich Euch bin.«
Patrick zögerte kurz, dann sagte er mit leiser Stimme: »Wenn es dir mit diesem Wunsch wirklich ernst ist, dann erlaube mir, dass ich dir zum Abschied einen Kuss gebe. Nur einen einzigen Kuss, den ich mir so lange schon von dir wünsche, Éanna!«
Sie erschrak nicht und sie wich auch nicht vor ihm zurück. Der kurze Weg zur Tür hinter ihr war unverstellt. Sie hätte mühelos hinauslaufen können. Doch nichts dergleichen tat sie. Sie sah ihn nur an, als wäre etwas eingetreten, das unabänderlich gewesen war und einfach hatte kommen müssen. Das Blut rauschte in ihren Ohren und ihr Herz begann zu rasen. Irgendwo in ihr formte sich Widerstand. Aber sie stand einfach nur da.
Patrick wartete und erwiderte ihren Blick wortlos. Als sie noch immer nichts sagte, deutete er ihr Schweigen als stumme Zustimmung. Und dann nahm er ihr Gesicht zärtlich in beide Hände und senkte seinen Mund auf ihre Lippen.
Ein Gefühl von Schwindel überkam Éanna, als sie seinen Mund spürte und er sie küsste, wie noch kein Mann sie zuvor geküsst hatte, auch Brendan nicht. Und dann durchfuhr es sie wie ein Stromschlag, bis in die Zehenspitzen, als seine Zungenspitze ihre Lippen berührte und sie mit leichtem Druck teilte. Und zu ihrer tiefen Beschämung würde sie nie vergessen, dass er und nicht sie es war, der diesen betörenden Kuss beendete.
Als Patrick sie schließlich freigab, war ihr, als erwachte sie aus einem Tagtraum und als wankte der Boden unter ihren Füßen. Fassungslos über das, was geschehen war und was sein Kuss in ihr ausgelöst hatte, taumelte sie zur Tür. Sie brachte keinen Ton über die Lippen und starrte ihn benommen an.
Patrick stand reglos da und blickte sie an. Nicht ein Wort fiel in diesen letzten Momenten.
Endlich fand Éanna ihre Fassung wieder, sodass sie die Tür öffnen und sich in das Halbdunkel des Treppenhauses flüchten konnte. Erst auf dem untersten Treppenabsatz sank sie auf die Stufen und presste das heiße Gesicht an die kalte Wand.
Nach Atem ringend saß sie da, erschüttert und verstört über das, was soeben geschehen war, was sie zugelassen hatte – und was sie doch mit nur einem einzigen Wort hätte verhindern können, hätte verhindern müssen!
Wie hatte das nur passieren können? Und wie hatte es sein können, dass sein Kuss einen solchen Sturm der Gefühle in ihr hatte auslösen können, wo sie doch Brendan liebte?
Minutenlang rührte sie sich nicht von der Stelle und suchte nach einer Erklärung, nach einer Entschuldigung für diesen kurzen Moment der Schwäche. Aber sie fand keine. Dass sie bei allem das Buchpaket mit festem Griff am Kordelband gehalten und es neben sich abgesetzt hatte, wurde ihr erst jetzt bewusst.
Langsam legte sich der ärgste Sturm in ihrem Innern ein wenig und sie versuchte, sich damit zu beruhigen, dass es sich letztlich doch nur um einen Kuss gehandelt hatte, der wohl nun einmal der unabänderliche Preis für ihre und Brendans Freiheit gewesen war. Ein Kuss, der nichts daran änderte, dass ihre Liebe einzig und allein Brendan galt und dass sie gut daran tat, Patrick so schnell wie möglich zu vergessen.
Als sie hoch oben eine Tür zufallen und zwei Frauenstimmen im Treppenhaus hörte, griff sie rasch nach den Büchern und lief die restlichen Stufen
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