Ebbe und Glut
setzte sich neben ihn auf das Bett. Schweigend saßen sie da und schauten zu, wie der fast volle Mond sich langsam vor das Fenster schob und den Raum in silbriges Licht tauchte.
»Es tut mir alles so leid«, sagte Mia nach einer Weile. Sie fühlte sich unendlich müde und gleichzeitig hellwach.
»Mir tut es auch leid«, flüsterte Frank.
Ihre wenigen Worte umfassten all das, was sie jahrelang mit sich herumgetragen hatten. Ihre Enttäuschungen und Verletzungen, ihre Sehnsüchte und diese maßlose Traurigkeit, die sie beide nach ihrer Trennung befallen hatte. Die Angst vor der Zukunft, die Hilflosigkeit, das Wissen um die eigene Schuld und die Vorwürfe dem anderen gegenüber. Es gab nichts mehr zu erklären, nichts mehr vorzuwerfen.
Frank nahm Mias Hand.
»Ich dachte immer, es geht nicht, dass jemand zwei Menschen gleichzeitig liebt«, sagte Mia leise. »Nur, weil alle das behaupten, habe ich es auch geglaubt.«
Frank seufzte leise. »Es geht alles, was du möchtest und womit du dich gut fühlst. Du musst es nur wollen. Das weiß ich heute.«
Mia ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen. Es klang alles so leicht, so einfach, und doch empfand sie es immer noch als schwer, ihren eigenen Weg zu finden, jenseits all der Erwartungen, die diese Welt an sie zu haben schien.
»War es sehr schwer für dich?«, fragte sie.
»Es war ein Albtraum. Wenn etwas gut ist, warum sollte man es dann aufgeben? Das ist doch idiotisch. Noch dazu, wo man genau weiß, dass alle Welt einem die Hölle heiß machen wird. Ich bin fast gestorben vor Angst. Und vor Traurigkeit und Sehnsucht nach dir. Dass Rocco das so lange ausgehalten hat, ist echt ein Wunder.«
Mias Augen brannten. Sie hatten beide Jahre ihres Lebens mit völlig sinnlosen Gefühlen voller Zorn und Traurigkeit verschwendet. Nur, weil sie nicht bereit waren, sich den Veränderungen zu stellen.
»Warum ist Versöhnung nur so schwer?«, fragte Frank.
Mia nahm an, dass er dabei auch an seinen Vater dachte. »Vermutlich, weil sie bedeutet, eigene Fehler einzugestehen und sich darauf einzulassen, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen.«
Sie wandte den Kopf und küsste Frank auf die Wange. Ein tiefer, stiller Friede erfasste sie auf einmal.
Rocco kam zurück, umgeben von einem Schwall frischer, herber Düfte. Auch er trug nur ein Handtuch, das er sich um die Hüften geschlungen hatte und das im Mondschein hell schimmerte. Während Frank ebenfalls im Bad verschwand, saßen Mia und Rocco auf seinem Bett und schauten den Mond an, der wie gemalt vor dem Fenster hing.
Mia dachte daran, wie Rocco sich den anderen Trauergästen gegenüber benommen hatte – höflich, zurückhaltend und sehr charmant. Er wirkte den ganzen Tag über kein einziges Mal arrogant oder herablassend, sondern schlug sich sehr tapfer zwischen all den Verwandten, die ihm anfangs voller Vorurteile begegneten. Doch selbst Tante Gisela hatte zum Abschied freundliche Worte für ihn gefunden.
»Weißt du was? Ich finde den Ralf Becker in dir irgendwie viel netter als den Rocco Paletti«, stellte Mia fest.
»So? Warum denn?«
»Der ist nicht so arrogant, so aufgeblasen.«
»Bin ich das? Ich meine, ist Rocco das?«
»Ja, ich finde schon. Ich glaube, das war es auch, was ich nie an ihm mochte.«
»Dann bin ich aber froh, dass du jetzt den Ralf entdeckt hast. Meinst du, du könntest zu ihm ein bisschen netter als zu Rocco sein?«
»Ich denke schon.«
»Fein.«
Sie saß immer noch neben Rocco, als Frank zurückkam. Ganz selbstverständlich nahmen die beiden Männer Mia erneut in ihre Mitte. Jetzt fühlte sich ihre Nähe nicht mehr fremd, sondern warm und freundlich an. Fast zu warm.
Mia begann, unter ihrem dicken Handtuch zu schwitzen.
»Ich habe heute dreimal geduscht«, stellte sie seufzend fest. »Und jetzt könnte ich schon wieder.«
»Was – duschen?«, fragte Franks Stimme leise an ihrem Ohr.
»Ja. Was denn sonst?«
»Ich weiß nicht …« Seine Hand schob sich zwischen ihre Beine, unendlich langsam, unendlich behutsam.
»Nicht«, sagte Mia, aber sie wehrte sich nicht. Sie spürte Franks Hand, die sich fremd und neu und doch so sehr vertraut langsam ihren Weg bahnte. Sie spürte seine Wärme, das leise Prickeln, das seine Berührungen auslösten, bis auf einmal eine große Hitze über ihr zusammenschlug, überraschend und intensiv. Sie löste ihr Handtuch und drängte sich Frank entgegen. Seine Küsse waren ein Gefühl von nach Hause kommen, seine gierige Lust jedoch war neu
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