Ebbe und Glut
und Angst fällte Arthur eine Entscheidung. Fortan würde er Mia nicht mehr behelligen. Wie war er nur auf die absurde Idee gekommen, da könne etwas zwischen ihnen sein? Leidenschaft. Freundschaft. Liebe gar. Einen winzigen Moment hatte er sich eingebildet, alles sei möglich.
Wie absurd.
Voller Bitterkeit trieb es ihn fort von diesem trostlosen Ort, fort von Mia, fort von allem, was sein armseliges Leben noch ausmachte. Höchste Zeit, auch ihm den Garaus zu machen.
Orientierungslos irrte er kreuz und quer durch die Welt. Er gab sich die allergrößte Mühe, den kläglichen Rest seines Lebens auf einen noch kläglicheren Rest zusammenschrumpfen zu lassen. Er trank wahllos und gierig, ohne jedes Gespür für die Mengen, die er konsumierte, gleichgültig gegenüber dem, was der Alkohol mit seinem Körper anrichtete. Er fing wieder an zu rauchen, obwohl die Ärzte ihm dringend davon abgeraten hatten, damit es nicht zu Durchblutungsstörungen in seinem Beinstumpf kam. War das nicht völlig egal? Für wen hegte und pflegte er sich denn so? Er aß und schlief kaum. Dafür zog er von Nachtclub zu Nachtclub, ständig bemüht, sämtliche Erinnerungen auszulöschen, die er hatte. Wenn er noch nüchtern genug war, nahm er in den frühen Morgenstunden Frauen mit auf sein Zimmer, denen das Verruchte gefiel, das ihn mehr und mehr umgab. Manche reagierten schockiert, wenn sie seine Prothese sahen, ein paar Huren wollten auch mehr Geld haben, aber die meisten Frauen schien seine Behinderung überhaupt nicht zu stören. Perverse, kranke Weiber, dachte Arthur angewidert.
Anfangs setzte er sich alle paar Tage in einen Zug oder ein Flugzeug und wählte einen anderen Zielort. München, Kopenhagen, Nizza, Mailand, Kairo. Er stieg in großen, teuren Hotels ab und versank in deren gepflegter Anonymität. Doch je mehr er trank, desto weniger gesellschaftsfähig wurde er. Immer häufiger musterte man ihn misstrauisch an der Rezeption und in den Hotelbars, das entging selbst ihm trotz Dauerbenebelung nicht. Also stieg er in kleineren, einfacheren Hotels ab, in denen man ihm noch weniger Fragen stellte und er noch besser untertauchen konnte.
Dann kamen die Schmerzen, und damit wurde es schwieriger. Eine Druckstelle an seinem Beinstumpf, die er einfach ignorierte, weitete sich zu einer handfesten Entzündung aus. Immer länger blieb er nun an einem Ort, viel zu erschöpft zum Weiterreisen. Er belastete sein schmerzendes Bein falsch und bekam davon auch noch heftige Rückenschmerzen. Die frei zugänglichen Schmerzmittel halfen nur minimal, aber Arthur ging zu keinem Arzt. Stattdessen erhöhte er seine Alkoholdosis. Die Frauen blieben aus, weil ihm vor lauter Schmerzen und Sinnesbetäubungen die Lust vergangen war.
In einer Nacht in Paris, in der ihn eine besonders schlimme Schmerzattacke quälte, dachte er an Carol, und er fühlte eine Sehnsucht und einen Schmerz, der alle körperlichen Schmerzen überlagerte. Weinend vergrub er den Kopf in seinem Kissen.
Nach einer Weile schlich sich zwischen die Verzweiflung ein anderes, unbestimmtes Gefühl. Es hatte mit Mia zu tun. Er spürte ihre Nähe wieder, hörte ihr Lachen, fühlte, wie sich ihr Mund um seinen harten Schwanz schloss. Die erregende Erinnerung ließ ihn für einen Moment den brennenden Schmerz in seinem Bein vergessen und den Schüttelfrost, der ihn im Laufe der Nacht immer heftiger befiel.
Es verwirrte ihn, dass er gleichzeitig an Carol und an Mia dachte. Beide waren weit weg, keine von ihnen konnte er je wieder haben.
Oder etwa doch?
Die Erinnerung an Mia barg etwas seltsam Tröstliches. Er spürte ihre Küsse so deutlich, dass er schon glaubte, sie liege tatsächlich neben ihm. Das Zusammensein mit ihr war so vertraut gewesen, so selbstverständlich. Und so unfassbar schön.
Zum ersten Mal, seit Arthur seine Odyssee begonnen hatte, war da ein Hauch von Hoffnung, leicht und flüchtig wie ein Frühlingswind. Er beförderte Arthur in den frühen Morgenstunden in einen tiefen Schlaf voller wirrer Träume. Als er gegen Nachmittag zu sich kam, schluckte er eine halbe Packung starker Schmerztabletten, stieg unter Qualen in den Nachtzug nach Hamburg, warf noch ein paar Schlaftabletten ein und verbrachte die Nacht in fiebrigem Tiefschlaf.
Arthur stieß die Tür auf und trat in den dämmrigen Flur, von dem eine Treppe zum Wohnzimmer hinauf führte, in das die Sonne schien. Er blinzelte irritiert ins Gegenlicht. Oben auf der Treppe stand ein Wagenrad auf einem Ständer
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