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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Burkhardt
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und versperrte ihm den Weg.
    Moment mal … ein Wagenrad?
    Arthur schaute genauer hin. Ja, es war ein buntes Wagenrad, an dessen Speichen Blumen befestigt waren. Konnte das sein? Er fuhr sich unsicher mit der Hand über die Augen. Vielleicht hatte er doch ein paar Tabletten zu viel genommen. Als er die Augen wieder öffnete, sah er klarer. Nein, natürlich war das kein Wagenrad, was für ein lächerlicher, absurder Gedanke. Das war ein riesiger knallroter Hut, der sich nun langsam auf ihn zu bewegte. Arthur kniff die Augen zusammen, bis er erkannte, dass zu dem Hut eine Frau gehörte. Himmel, was war denn nur los mit ihm, dass er das alles nicht mehr richtig zusammenbekam?
    Im ersten Moment hoffte er, die Frau unter dem Hut sei Mia. Dann glaubte er eine entsetzliche Sekunde lang, Carol zu sehen, die zu lange in der Sonne gelegen hatte, so dass ihr Gesicht ganz faltig geworden war. Die Frau starrte ihn an, als würde sie ebenfalls einen Geist sehen. Erschrocken legte sie die Hände vor den Mund.
    »Um Gottes Willen, Arthur!«
    Da erkannte er sie.
    Arthur taumelte vorwärts und brach vor den Füßen seiner entsetzten Mutter zusammen.
     

29
     
    Arthur saß in der Sonne auf einer kleinen Terrasse und trank Kaffee. Eine Frau trat durch eine Tür heraus und blickte sich suchend um. Sie war schlank und hatte dunkle, leicht gewellte Haare, die ihr offen über die Schultern fielen. Ihr lebhaftes, hübsches Gesicht war halb hinter einer Sonnenbrille verborgen, das rot geblümte Sommerkleid betonte ihre Figur. Arthur sah die Frau gebannt an. Einen Moment glaubte er, Mia zu sehen. Doch als sie ihr Gesicht in seine Richtung drehte, erkannte er, dass sie eine Fremde war. Eine ältere Patientin, die am anderen Ende der Terrasse saß, winkte ihr zu, und die Dunkelhaarige eilte zu ihr hinüber und lachte dabei fröhlich. Genau wie Mia, dachte Arthur, und er war überrascht, dass sie ihm plötzlich in den Sinn kam.
    Er hatte ewig nicht an Mia gedacht.
    So viele Geschichten erzählte er Dr. Wiesner, nur über Mia redete er nie. Warum eigentlich nicht? Was war daran schlimmer als an all den anderen Geschichten? War es die Art, wie sie sich kennengelernt hatten? Oder waren es die Gefühle, die sie in ihm ausgelöst hatte? Gefühle, von denen er dachte, dass er sie nie wieder verspüren würde.
    Arthur beobachtete, wie die Schatten immer länger wurden, die Sonne verschwand jetzt schon früh hinter den Bergen. Der Sommer war vergangen, ohne dass er es bemerkt hatte. Hilfloser Ärger erfasste ihn. Arthur wünschte, alles wäre ganz anders gekommen.
     
    Marlit Kessler war einer Eingebung gefolgt. Nachdem Arthur nicht auf ihre Anrufe reagierte, erfasste sie eine ungewohnte Unruhe. Ihr Gespräch mit Mia auf Spiekeroog kam ihr in den Sinn.
    Obwohl sie ihren Sohn in den letzten zehn Jahren viel zu selten zu Gesicht bekommen hatte, war ihr Kontakt doch stets sehr eng gewesen, selbst in den schwierigen Zeiten nach Carols Tod, als Arthur sich immer mehr zurückgezogen hatte. Damals gewöhnte er sich an, alle paar Tage anzurufen, um Marlit und Boy zu beruhigen und ihnen zu zeigen, dass er sein Leben im Griff hatte. Er wusste, wie dankbar Marlit dafür war.
    In der letzten Zeit wurden seine Anrufe seltener und er klang manchmal sehr erschöpft. »Ich bin mit einem großen Auftrag beschäftigt«, behauptete er. Für seine Mutter gab es keinen Grund, daran zu zweifeln. Bis jetzt.
    Marlit fuhr zu Arthurs Haus, vor dem sie seinen Mercedes entdeckte. Ihre Unruhe wuchs. Warum parkte der Wagen nicht in der Tiefgarage? Sie bemerkte, dass jemand den Stern an der Kühlerhaube abgebrochen hatte – für sie ein Zeichen, dass das Auto nicht erst seit ein paar Minuten hier stand.
    Marlit rechnete nach. Mitte Juni war sie Mia auf Spiekeroog begegnet. Da hatte Arthur offenbar schon einige Wochen keinen Kontakt mehr zu Mia gehabt. Jetzt war Anfang Juli. Marlit fröstelte.
    Sie nahm ihren Schlüssel und betrat Arthurs Wohnung. Die Luft roch abgestanden, die Küchenkräuter waren in ihren Töpfen vertrocknet, im Kühlschrank schimmelte Käse, im Badezimmer lagen Arthurs Rasierer und seine Zahnbürste.
    Arthur hatte seine Wohnung vor langer Zeit verlassen, aber nicht, um zu verreisen.
    In den nächsten Tagen kam Marlit immer wieder in die Wohnung, in der Hoffnung, irgendwann auf Arthur zu treffen. »Wir müssen die Polizei informieren«, sagte Boy sichtlich beunruhigt, doch Marlit schreckte davor zurück. Wenn sie die Polizei einschalteten, war das ein Zeichen,

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