Ebbe und Glut
dämlich? »Das heißt, dass ich arbeitslos bin.«
»Arbeitslos.« Aus seinem Mund klang das so, als hätte sie gesagt, sie habe AIDS. »Wie lange denn schon?«
»Ein gutes halbes Jahr. Allmählich wird es eng, falls du verstehst, was ich meine.« Es war nicht ihre Absicht, so bissig zu klingen, aber sie bewegten sich auf gefährlich schwankendem Grund, und sie drohte jeden Moment abzustürzen.
Arthur war fassungslos. »Gibt es niemanden, der dich unterstützt? Ich meine … gibt es keinen Mann, oder so?«
» Du bist der Mann, der mich unterstützt.« Mia lachte bitter über sein entsetztes Gesicht. »Herrgott nochmal, Arthur, was hast du denn gedacht? Dass ich eine gelangweilte Ehefrau bin, die sich hier mit dir ein bisschen die Zeit vertreibt und ihr Taschengeld aufbessert, während ihr Mann brav den Lebensunterhalt verdient?« Sie sah ihm an, dass er tatsächlich genau das gedacht hatte. »Tja, tut mir leid. So ist es leider nicht. Und ja, du hast ganz recht, den Mantel und das Kleid habe ich tatsächlich von deinem Geld gekauft. Beides hätte ich mir sonst nämlich nie leisten können.«
Ihr Ärger hielt nur kurz an. Eine tiefe Traurigkeit schob ihn beiseite und nahm Mia alle Energie.
Arthur sah sie lange an. Seine Narbe war im Schein der Küchenlampe deutlich sichtbar, sie zerschnitt die Symmetrie seines schönen Gesichts und gab ihm einen verwegenen Ausdruck. Mia fand, dass er selten attraktiver ausgesehen hatte.
Sachlich stellte Arthur die nächste Frage: »Wie ist es denn dazu gekommen?«
Hilflos hob sie die Hände. Wie sollte sie ihm das alles erklären? Wo sollte sie anfangen?
»Es gibt keinen besonderen Grund. Es ist einfach alles so passiert. Erst ist mein Mann abgehauen. Dann habe ich meinen Job verloren. Finanzkrise und so, du weißt schon.« Sie schickte einen bösen Blick in seine Richtung. Du warst doch auch einer von denen, sagte sie stumm, einer dieser gierigen Banker, die den Hals nicht voll genug kriegen konnten und uns alle in diesen Schlamassel befördert haben. Arthur reagierte nicht auf ihren stillen Vorwurf, und Mia fuhr fort: »Ich konnte die Miete unserer großen Wohnung alleine nicht mehr bezahlen. Also bin ich dort auch ausgezogen.« Ihre Stimme zitterte gefährlich. »Tja … jetzt habe ich nichts mehr. Scheint so, dass ich auf ganzer Linie versagt habe.«
Warum erzählte sie ihm das alles? Er hatte nur nach ihrem Job gefragt, aber sie musste ihm gleich das gesamte Paket präsentieren. Was war sie doch für eine blöde Kuh! Resigniert sackte sie in sich zusammen. So mutlos und verzagt hatte sie sich ewig nicht gefühlt.
»Was hast du denn beruflich gemacht?«, fragte Arthur.
»Ich war Werbetexterin.«
»Aber da wird doch was zu machen sein. Die Branche erholt sich ja schon wieder etwas.«
Mia rieb sich erschöpft die Augen. Aus Arthurs Mund klang alles so leicht, so spielerisch. Er hatte keine Ahnung, wie viel Kraft es sie manchmal allein kostete, aufzustehen und sich einem weiteren erfolglosen Tag zu stellen.
»Ich habe trotzdem keine Chance mehr. Wer in meinem Alter einmal raus ist, hat verloren.«
Arthur musterte sie erstaunt. »Wieso? Wie alt bist du denn?«
Mia zögerte. Arthur schien sie für deutlich jünger zu halten, als sie war. Auch andere Leute ließen sich öfter von ihrer frischen, mädchenhaften Erscheinung täuschen. Wäre ja eigentlich ganz hübsch, Arthur seine Illusion zu lassen. Stattdessen musste sie sich nun wohl ein weiteres Versagen eingestehen – sie war nicht mal im passenden Alter, um diesen eigenwilligen Mann zufriedenzustellen. Es war zum Heulen.
»Ich bin neununddreißig«, sagte sie.
Wie erwartet weiteten sich Arthurs Augen vor Erstaunen. »Ich dachte, du seist viel jünger.«
Sie freute sich nicht über das Kompliment. »Tja … enttäuscht?«
»Nein.« Er zögerte leicht. »Ganz und gar nicht.«
»Aha.«
Arthur trank einen Schluck Wein und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Blick war undurchdringlich.
»Und wie alt bist du?«, fragte Mia, hauptsächlich, um ihre Verwirrung zu überspielen.
»Dreiundvierzig. Und sag jetzt ja nicht, du hättest gedacht, ich sei viel älter.« Drohend funkelte er sie an.
Mia grinste. »Ähm ... nein, ich sage nichts.« Sie behielt für sich, dass sie Arthur tatsächlich für bedeutend älter gehalten hatte. Dreiundvierzig, dachte sie erstaunt, und ihr schoss durch den Kopf, was Arthur vorhin über seine Arbeit gesagt hatte. Ich war früher mal ein recht erfolgreicher Investmentbanker. Das
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