Ebbe und Glut
erklärte Arthur freundlich. » Kind of Blue zählt zu den größten Alben der Jazzgeschichte. Aber man muss diese Musik mögen, Jazz ist nicht jedermanns Sache.«
Mia hörte normalerweise keinen Jazz. Zunächst schien ihr auch diese Musik anstrengend und schwer zugänglich zu sein, doch bei genauerem Hinhören war ihr so, als würden die Instrumente Geschichten erzählen. Die dunkle, melancholische Stimmung dieser Geschichten berührte sie.
»Ich mag das«, sagte sie nach einer Weile.
Arthur nickte zufrieden, und Mia lauschte weiter der Trompete von Miles Davis. Auch Arthur schien ganz in der Musik versunken zu sein. Er starrte vor sich hin und hatte Mia offenbar vollkommen vergessen.
Verstohlen musterte sie ihn. Wer war dieser Mann? Sie trafen sich seit Monaten, aber sie wusste nichts über ihn. Was dachte er? Was fühlte er? Anfangs hatte sie geglaubt, er sei ein kranker Spinner, ein reicher Idiot, der Gefallen daran fand, Frauen zu erniedrigen. Inzwischen hatte sie ihre Meinung ein wenig geändert. Die Sache war kniffliger, aber Mia kam nicht dahinter. Arthur war barsch und kalt, gleichzeitig aber auch sensibel und klug. Er behandelte Mia meistens höflich und zuvorkommend. Manchmal lag in seinen Augen eine Sehnsucht, die Mia anrührte. Dann wieder fand sie darin nur eine geradezu schockierende Dunkelheit. Sie hätte gerne mehr darüber erfahren.
Arthur hob den Kopf, er fühlte ihren Blick auf sich ruhen.
»Alles in Ordnung?«, fragte er leise.
»Ja.« Der Wein ließ ihre Glieder schwer werden und verwirrte ihre Gedanken. »Wir haben schon ein merkwürdiges Verhältnis, findest du nicht?«, sagte sie.
»Kommt drauf an, was du unter merkwürdig verstehst.« Er war wieder ganz da und sah sie aufmerksam an.
»Na ja, das ist doch eine recht einseitige Angelegenheit. Du kriegst von mir Befriedigung, aber was kriege ich?«
»Du kriegst Geld.«
» Geld .« Sie schnaubte verächtlich. »Als ob es darauf ankäme. Wir haben eine Geschäftsbeziehung, sagst du, aber profitieren tust nur du davon. Ich gehe immer leer aus.«
»Moment mal!« Arthurs Blick wurde finster. »Du gehst ganz gewiss nicht leer aus. Sechzig Euro für jedes Treffen, richtig? Habe ich auch nur ein einziges Mal nicht gezahlt? Also, was willst du?«
Die friedliche Stimmung war zerstört. Mia ärgerte sich, dass sie das Thema angefangen und es dann auch noch so ungeschickt in die völlig falsche Richtung gelenkt hatte. Aber der Wein war ihr zu Kopf gestiegen, sie konnte ihre Gedanken nur mühsam sortieren.
»Geld ist doch nicht immer das Wichtigste«, brachte sie hervor. Sie konnte Arthur unmöglich von ihrem heimlichen Verlangen, ihren lustvollen Fantasien erzählen.
»Nein«, entgegnete Arthur kalt, »Geld ist wahrhaftig nicht das Wichtigste. Aber es erleichtert das Leben ungemein. Oder genießt du es etwa nicht, dass du dir diesen schicken, roten Mantel kaufen konntest?«
»Du hast gemerkt, dass ich einen neuen Mantel habe?« Mia war verblüfft. Den viel zu teuren Designermantel hatte sie sich tatsächlich erst kürzlich von Arthurs Geld geleistet.
»Natürlich habe ich das gemerkt«, erwiderte er ärgerlich. »Ich merke auch, dass du heute ein neues Kleid trägst. Und ich merke, dass du dich gerade auf einen gefährlichen Pfad begibst. Sei vorsichtig, Mia! Wenn du weiterhin herkommen möchtest, dann freut mich das. Allerdings werden wir dann auch weiterhin nach meinen Regeln spielen. Wenn dir das nicht passt, steht es dir jederzeit frei, zu gehen. Und behaupte ja nicht wieder, Geld bedeute nichts. Diese hübschen kleinen Annehmlichkeiten, die man sich mit Geld erkaufen kann, sind doch wohl eine Menge wert, nicht wahr?«
Als Mia verunsichert schwieg, fuhr er fort: »Oder liege ich falsch damit, dass diese ganzen Neuanschaffungen in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem kleinen Nebenjob hier stehen?«
»Nebenjob ist gut«, entgegnete Mia verdrießlich. »Ehrlich gesagt ist das zurzeit mein Hauptjob.«
Arthur starrte sie entgeistert an. »Das ist nicht dein Ernst.«
Bestürzt erkannte Mia, was für ein Riesenfehler ihre letzte Bemerkung gewesen war.
»Leider doch«, murmelte sie und konzentrierte sich darauf, die letzten Spaghetti auf ihre Gabel zu befördern. Ein Gefühl von Panik stieg in ihr auf. Dieser arrogante Arthur sollte auf keinen Fall etwas von ihrem Scheitern erfahren, das ging ihn alles nichts an.
Aber er ließ nicht locker. »Was heißt das?«, fragte er.
»Was das heißt?« Genervt hob sie den Kopf. War er wirklich so
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