Ebbe und Glut
wieso besaß Bonzo überhaupt Kleider? Mia ließ sich müde in die Sofakissen sinken und stieß mit einer ärgerlichen Bewegung die alberne Perücke fort, die sich zwischen ihren Füßen verfangen hatte. Das Glück, das sie eben noch verspürt hatte, war verpufft.
Es dauerte ewig, bis Frank wiederkam.
»Wie findest du denn das hier?« Er sprühte vor Begeisterung, als er Mia sein neuestes Outfit präsentierte – einen blau-weiß-gestreiften Männerbadeanzug nach der Mode des 19. Jahrhunderts. Weiß der Himmel, wo er den aufgetrieben hatte. Mia lachte pflichtbewusst, aber innerlich fühlte sie sich auf einmal sehr leer. Ihr stand der Sinn nach ganz anderen Dingen, doch die kamen wieder mal zu kurz – wie so oft in letzter Zeit.
»Lass uns ins Bett gehen, Schatz«, unternahm sie einen neuen Versuch.
»Aber es ist doch erst halb zehn.« Frank schaute sie mit geradezu kindlicher Verwunderung an.
»Ich bin aber müde.« Mia stand auf. »Und mir ist so nach Kuscheln.«
Frank drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. »Ist gut, Süße, ich komme auch gleich.«
Mia zog sich aus und legte sich ins Bett. Nachdenklich starrte sie vor sich hin. Wann hatten sie und Frank das letzte Mal miteinander geschlafen? Es fiel ihr nicht ein. Zwischen Arbeit, Partys und Freunden war ihr Liebesleben auf der Strecke geblieben. Frank schien das gar nicht aufzufallen, doch Mia fehlten die intimen Momente mit ihm, die innigen Augenblicke voller Zärtlichkeit und Lust. Langsam fuhr sie mit den Händen unter ihr Nachthemd. Ihre eigenen Berührungen weckten ein Sehnen und Verlangen in ihr, das sie traurig stimmte.
Sie war eingeschlafen, bevor Frank auch endlich ins Bett kam.
Am nächsten Morgen erwachte sie von einem knisternden Rascheln und einem intensiven Duft, der ihr in die Nase stieg. Sie blinzelte verschlafen, als Frank sich über sie beugte und küsste.
»Alles Liebe zum Hochzeitstag, mein Engel.«
Ihr Hochzeitstag! Nach gestern Abend hatte sie nicht erwartet, dass Frank daran denken würde. Liebevoll hatte er auf einem Tablett ein Frühstück angerichtet. Gerührt schaute Mia auf die Kaffeebecher, belegten Brötchenhälften und Schälchen mit selbstgemachtem Obstsalat. Auf der Kommode stand ein Strauß frischer Rosen. Und zwischen den Brötchen entdeckte Mia eine kleine Schachtel. Darin befand sich ein wunderschöner Ring aus Gold mit einem kleinen, rechteckigen Smaragd in der Mitte. Der grüne Stein funkelte und glitzerte zauberhaft, als Mia den Ring ansteckte. Frank musste ein Vermögen für das Schmuckstück ausgegeben haben.
Er strahlte vor Glück über das ganze Gesicht, reichte Mia einen Kaffeebecher und fütterte sie mit einem Nutellabrötchen. Später leckte er ihr die Schokolade von den Lippen, kroch zu ihr unter die Decke und verwöhnte sie voller Zärtlichkeit. Genau darum liebte sie ihn – weil er immer wieder für Überraschungen gut war. Und weil er Mia trotz aller Turbulenzen auf eine Weise umsorgte, die ihr dieses überwältigende Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit gab. Sanft glitt sie auf dieser Woge voller Glück dahin, überzeugt, dass sie ewig anhalten würde.
9
Arthur saß auf seiner Dachterrasse und schaute hinüber zur Queen Mary 2 . Das majestätische Kreuzfahrtschiff verließ Hamburg mit dem üblichen Pomp Richtung New York. Tausende Menschen säumten die Ufer, um dem Spektakel beizuwohnen, Dutzende kleine Beiboote begleiteten das riesige Schiff die Elbe hinab.
Es war ein schöner Augustabend, aber Arthur konnte ihn nicht genießen. Er schenkte sich einen Whisky nach dem nächsten ein und starrte bedrückt auf das riesige Schiff, mit dem er hier oben auf dem Dach fast auf Augenhöhe war.
Seine Hand zitterte, als er sein Glas zum Mund führte, aber Arthur wusste, dass es ohne den Whisky noch schlimmer wäre. Er verfluchte den Tag, an dem er diese Wohnung gekauft hatte. Er hatte geglaubt, hier, wo alles neu entstand, mitten auf dieser riesigen Baustelle, in dieser Stadt der Zukunft, könne auch er neu anfangen, alles Alte einfach hinter sich lassen. Aber er hatte sich getäuscht. Es war eine absolute Katastrophe.
Der Lärm von den Baustellen ringsum und vom Hafen, der Tag und Nacht in Betrieb war, ging ihm auf die Nerven. Außerdem war er wütend auf sich selbst, weil er eine Wohnung gewählt hatte, die über drei Ebenen lief. Ständig musste er Treppen bewältigen, vom Arbeitszimmer ins Wohnzimmer, vom Wohnzimmer in die Küche. Was für ein Irrsinn.
Am schlimmsten waren
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