Ebbe und Glut
jedoch die Kreuzfahrtschiffe, die Richtung Amerika fuhren, allen voran die Queen Mary . Sie fuhren direkt vor seiner Haustür ab, rissen ihn mit ihrem lauten Tuten, mit Feuerwerk und Trallala aus seinen Gedanken, seiner Ruhe, seinem Schlaf. Dass die Leute auch immer so ein Gewese um die Abfahrt dieser Schiffe machen mussten. Grauenvoll!
Jetzt saß er da und dachte, er müsse jeden Moment wahnsinnig werden. Er hatte vergessen, den Tag in seinem Kalender zu markieren, um rechtzeitig fliehen zu können. Natürlich hätte er das immer noch tun können, theoretisch sogar noch in den letzten Minuten vor der Abfahrt des Schiffes. Stattdessen saß Arthur wie gelähmt auf seinem Outdoorsofa und hoffte, dass der Alkohol ihm das letzte bisschen Verstand nehmen würde, das er noch besaß.
Die Queen Mary schob sich langsam den Fluss hinab und verschwand mehr und mehr aus Arthurs Blickfeld. Sie nahm all seine Sehnsüchte mit, seine Erinnerungen, sein Herz. Zurück blieb ein kläglicher Rest von dem Rest, der er ohnehin nur noch war. Mit dem Arthur Kessler, der er einst gewesen war, hatte er schon lange nichts mehr gemeinsam.
Mühsam erhob er sich vom Sofa und trat schwankend an das Geländer der Terrasse. Eigentlich war es traumhaft schön hier oben. Könnte er das alles doch nur etwas mehr genießen.
Auf einmal hatte er Mias Stimme im Ohr. Du meine Güte, die Terrasse ist ja der Hammer! Stimmt, sie war tatsächlich der Hammer, vielleicht sogar das Beste an der ganzen Wohnung. Warum sind wir denn da noch nie raus gegangen? Ja, warum eigentlich nicht?
Einen irrwitzigen Moment lang überlegte er, Mia anzurufen und sie zu einem Glas Wein einzuladen, hierher, auf diese riesige Dachterrasse. Sie könnten nebeneinander am Geländer stehen, wie zwei Kapitäne auf ihrem Schiff das Treiben zu ihren Füßen beobachten und den fantastischen Ausblick genießen.
Aber dann lachte er über sich selbst. Er war eindeutig betrunken. Er hatte Mia seit drei Monaten nicht mehr gesehen. Sie würde ihn für verrückt erklären, wenn er sich jetzt plötzlich bei ihr melden würde. Andererseits – hielten ihn nicht sowieso schon alle für verrückt? Er hatte doch kaum noch etwas zu verlieren.
Mia. An manchen Tagen hatte er gedacht, sie sei ein Geschenk für ihn. In ihren Händen starb er seine kleinen Tode, einsam, verloren, und doch so erlösend. Dann wieder fürchtete er, er könne sie mit seinen Obsessionen auch ins Verderben reißen - eine Vorstellung, die ihm Übelkeit bereitete.
Er hatte schnell gemerkt, dass sie anders war als die anderen Frauen. Sie war schön, intelligent und fröhlich, ihre Augen strahlten Neugier und Lebensfreude aus. Nur manchmal sah er darin eine leise Trauer, ein Sehnen, das ihn berührte, weil es ihm vertraut vorkam.
Mia hielt sich an seine Abmachungen. Sie hatte nicht gleich beim ersten Mal versucht, mit ihm herumzuknutschen und seine Hände unter ihre Bluse zu schieben, in der Hoffnung, er werde dann schon Feuer fangen und sie voll gieriger Lust nehmen. Mia hatte sich auf seine Bedingungen eingelassen, sie hatte getan, was er wollte, gab ihm, was er brauchte und ließ ihn den Rest der Zeit in Ruhe. Er hatte keine Ahnung, warum sie das tat. Manchmal sah er Leidenschaft in ihren Augen, Verlangen, wenn sie sich über ihn beugte. Es schien ihr tatsächlich Spaß zu machen, ihn zu befriedigen. Ein paar Mal war er drauf und dran, alle Ängste über Bord zu werfen und ihr Verlangen zu stillen. Aber er schaffte es einfach nicht.
»Hast du nie das Bedürfnis, mich auch zu berühren?«, fragte Mia einmal. Ihre Wangen glühten und in ihren Augen blitzte diese unvergleichliche Mischung aus Neugier und Zurückhaltung, die Arthur faszinierte, seit er sie das erste Mal gesehen hatte. Sie war eine ungewöhnlich schöne Frau, der man ihr Alter wahrhaftig nicht ansah. Ihre grünbraunen Augen blitzten lebhaft, die schwungvolle Linie ihres Mundes verhieß Leidenschaft, ihren schlanken Körper hielt sie sehr aufrecht und bewegte ihn mit einer Leichtigkeit und Geschmeidigkeit, die Arthur neidisch machte.
Am liebsten hätte er anstelle einer Antwort die Hand ausgestreckt und Mia an sich gezogen. Nur mühsam konnte er das überwältigende Bedürfnis verdrängen, ihre Haut zu spüren und den Duft ihrer Haare einzuatmen.
Steif und abwehrend sagte er: »Doch, natürlich.«
»Und warum tust du es dann nicht?«
Ihre Beharrlichkeit amüsierte ihn. Unter anderen Umständen hätten sie ein gutes Team abgegeben. Er trank Whisky
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